Rechtes Terror-Bündnis zwischen Berlin und Wien

■ Bendix W. ist tiefer in die Wiener Briefbombenkampagne verstrickt, als es die Berliner Behörden zugeben wollen

Vieles weist darauf hin, daß der Berliner Neonazi Bendix W., der Anfang dieser Woche von Wiener Beamten der Abteilung Terrorismusbekämpfung als Zeuge verhört wurde, tiefer in die Briefbombenkampagne österreichischer Neonazis verwickelt ist, als die ermittelnden Stellen in Deutschland zugeben wollen. Kurz nachdem die ersten Briefbomben im Dezember 93 ihre Opfer erreichten, häuften sich Hinweise auf eine grenzübergreifende Zusammenarbeit Wiener und Berliner Neonazis, unter ihnen Bendix W., der Neonazi-Anführer Arnulf Priem sowie der Ostberliner K. aus Hohenschönhausen. Die österreichischen Behörden ersuchten das Bundeskriminalamt (BKA) und den Berliner Staatsschutz um Amtshilfe.

An deutlichen Hinweisen hatte es zuvor nicht gemangelt. Zwei Tage nach den Detonationen stoppte die tschechische Polizei den Pkw des 26jährigen Elektroingenieurs Peter Binder aus Österreich. Die Beamten entdeckten dreizehn Gewehre, fünf Pistolen und eine beträchtliche Menge Nitroglycerin, jenen Sprengstoff, der bei den Anschlägen verwendet worden war. Nach eigenen Aussagen wollte Binder damit nach Berlin zu K. reisen. K. ist als Mitglied der Ostberliner Neonazi-Rockertruppe „Die Vandalen“ bekannt. Die österreichische Staatspolizei hörte außerdem ein Telefongespräch ab, in dem sich ein „Dr. Vanda“ aus Berlin nach Binders Verbleib bei dessen Ehefrau erkundigte. „Dr. Vanda“ ist der Tarnname für Bendix W., was der Polizei seit 1990 aus den Aussagen des ehemaligen Neonazi-Funktionärs Ingo Hasselbach bekannt ist. Am 11.12.1993 meldete die Wiener Tageszeitung Der Standard, daß dem bundesdeutschen Verfassungsschutz Erkenntnisse vorliegen, denen zufolge Binder mit deutschen Kameraden eine russische Kaserne in Brandenburg überfallen wollte. Diese Hinweise auf internationale Terroraktivitäten scheinen für den Berliner Staatsschutz und das BKA offensichtlich bis heute kein Thema zu sein. Die Ermittlungen in Deutschland würden verschleppt, klagen Informanten aus Kreisen der österreichischen Staatspolizei.

Bendix W. war seit 1987 in der Ostberliner Neonazi-Szene aktiv. Damals war er in Konflikt mit den DDR-Behörden geraten, weil er auf den Schlachtfeldern im brandenburgischen Halbe nach Militaria-Resten gegraben hatte. In weiteren Verfahren, wegen Volksverhetzung und Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda, konnte er nicht verurteilt werden, da er ein ärztliches Attest wegen Unzurechnungsfähigkeit vorweisen konnte. Nach der Wende schloß sich Bendix W. der Ostberliner „Nationalen Alternative“ (NA) in der Lichtenberger Weitlingstraße an. W.s Vorliebe galt vor allem dem „Wehrsport“. 1990 wurde er von der NA zum Verantwortlichen für paramilitärische Übungen ernannt. Ansonsten kümmerte er sich um die Beschaffung von Schußwaffen und explosivem Material. In der Weitlingstraße erkannten damals die angerückten Neonazi-Kader aus Westberlin und Österreich schnell das Talent von Bendix W. Der mehrfach verurteilte Nazi-Terrorist Ekkehard Weil und der inzwischen zu elf Jahren Haft verurteilte österreichische Neonazi-Chef Gottfried Küssel nahmen sich seiner an. Bendix W. wurde in den Aufbau verdeckt operierender „Werwolf“-Gruppen eingeweiht, die seit 91/92 in Deutschland und Österreich parallel zu den offiziellen Parteistrukturen gebildet wurden. Die Gruppen sollten aus je drei Mitgliedern und einem Leiter bestehen und sich auf eine „verschärfte Gangart“ vorbereiten.

Nachdem Küssel und seine neonazistische „Volkstreue Außerparlamentarische Opposition (Österreich)“ (Vapo) die Aufbauarbeit in Berlin für beendet ansahen, hielt Bendix W. weiter den Kontakt. Bestens bekannt ist W. neben Binder auch mit dem paramilitärischen Anleiter der Vapo, Hans-Jörg Schimanek jun., der in Österreich eine vergleichbare Funktion wie Bendix W. in Berlin erfüllte. Als Küssel wegen des Verstoßes gegen nazistische „Wiederbetätigung“ 1993 in erster Instanz zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, war es soweit: Die Drohung der Vapo-Anhänger „Zehn Briefe für zehn Jahre Haft“ wurde in Wien in die Tat umgesetzt. Im Oktober diesen Jahres folgten in Österreich weitere „vier Briefe für vier Jahre Haft“, diesmal aus Anlaß der Verurteilung des Küssel- Stellvertreters Günther Reinthaler. Wenige Tage vor den österreischischen Parlamentswahlen konnte die dortige Polizei vier Briefbomben entschärfen, adressiert an eine Ausländerberatungsstelle, einen Verlag, eine Papierfabrik und einen Verleger. Martin Becker