■ „Bewegung für neue Demokratie“ in der Türkei gegründet
: Der Dauerkrieg wird zu teuer

Man braucht kein großer Denker zu sein, um zu spüren, daß die Türkei am Rande einer Apokalypse steht. Mit aller Kraft versuchen die etablierten Parteien, das Land in die Katastrophe hineinzusteuern: eine Türkei als bosnisch-algerische Politmischung. Die türkische Ministerpräsidentin Tansu Çiller setzt alles daran, um die rechte Giftmischung von Ethnizität und Religion zu mixen. Erbarmungslos wird mit den Kurden umgegangen. Dörfer werden in Brand gesteckt, und Menschen werden vertrieben. Bombenleger und Todesschwadrone sind am Zug. Kurdische Abgeordnete werden ins Gefängnis gesteckt. Ergebnis: Die Kurden hassen diesen Staat. Auch Kriminalisierungsversuche des politischen Islam sind gang und gäbe.

Jüngst drohte die türkische Ministerpräsidentin den Abgeordneten der islamistischen „Wohlfahrtspartei“, daß ihnen das gleiche Schicksal blühen könnte wie den kurdischen Abgeordneten. Ergebnis: Die Islamisten hassen diesen Staat.

Doch ein Land, in dem ein Minimalkonsens fehlt, kann nicht ewig durch Militär und Polizei zusammengehalten werden. Der Industrielle Cem Boyner, der gestern die Partei „Bewegung für neue Demokratie“ gründete, hat dies erkannt. Er sagt dem etablierten Parteiensystem den Kampf an. Boyner ist kein Radikaler, kein Extremist. Ein steinreicher Textilindustrieller, der einst Sprecher des Arbeitgeberverbandes war, ist kein Systemveränderer. Doch Boyner weiß, daß ohne den Kompromiß mit den Kurden und den Islamisten die Türkei buchstäblich zerrieben werden wird. Er weiß, daß ohne ein Ende des schmutzigen Krieges in den kurdischen Regionen, der den öffentlichen Haushalt auffrißt, eine Restrukturierung der türkischen Wirtschaft undenkbar ist. Er spricht aus, was viele von Steuererhöhungen und Inflation gebeutelte städtische Mittelschichtler spüren: Das Kriegführen wird zu teuer. Keine Wirtschaft kann sich auf Dauer einen permanenten Krieg des Staates gegen seine eigenen Bürger leisten. Aus Boyner spricht die Ratio, während die anderen Politiker sich der Hysterie des Krieges hingegeben haben.

Nicht umsonst hat Boyner in den letzten Monaten enormen Zuspruch erhalten. Die etablierten Parteien machen sich bereits Sorgen um Wählerstimmen, die verloren gehen könnten. Und der jungdynamische Unternehmer ist zum Star der Medien aufgestiegen. In Zeiten des Krieges ist das Schlagwort vom „Frieden“ eine gefährliche und doch starke Waffe. Gefährlich, weil man zur Zielscheibe der Kriegstreiber wird. Stark, weil die Gesellschaft, des Kampfes müde, sich nach Frieden sehnt. Ömer Erzeren