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Ungarische Bewältigungsprobleme

■ Politiker tun sich schwer mit ihrer Stasi-Vergangenheit

Budapest (taz) – Ein Skandal um die Spitzel des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes macht derzeit in Ungarn auf merkwürige Weise Schlagzeilen. Bei der kürzlich begonnenen „Durchleuchtung“ der Parlamentarier hatte sich nämlich herausgestellt, daß mindestens einer von bislang vierzig Untersuchten Informant der sogenannten „Abteilung III/III“ im Budapester Innenministerium war. Dies an sich jedoch macht den Skandal nicht aus. Zumindest für die seit sechs Monaten regierenden Sozialisten besteht er vielmehr darin, daß die entsprechenden Informationen überhaupt an die Öffentlichkeit dringen konnten.

Was den Umgang mit der ehemaligen Stasi und deren Informantennetz angeht, haben sich nicht nur die Sozialisten, sondern nahezu alle politischen Kräfte in den letzten fünf Jahren schwergetan. Motor dafür, daß ein Gesetz zum Umgang mit den Stasi-Spitzeln überhaupt zustande kam, war der „Donaugate“-Skandal Anfang 1990. Damals, kurz nachdem die Kommunisten ihr Machtmonopol aufgegeben hatten und die ersten freien Wahlen bereits beschlossene Sache waren, kam ans Tageslicht, daß bekannte Oppositionelle noch immer per Wanze ausgehorcht wurden. Das hatte Folgen: Der Innenminister und Stasi-Offiziere mußten zurücktreten, die „Abteilung III/III“ wurde aufgelöst. Nach den Wahlen vom Mai 1990 folgte ein Gesetzesprojekt, um Ex-Spitzel aus dem Staatsapparat zu entfernen.

Dabei blieb es, bis die nationalkonservative Regierung Anfang März dieses Jahres ein „Agentengesetz“ verabschiedete – und den Beginn seiner Umsetzung auf einen Termin nach den Wahlen verschob. Drei Monate später wurde sie abgewählt. Dem Gesetz zufolge müssen sich bis zur Jahresmitte 2.000 Abgeordnete, Beamte im Staats- und Verwaltungsapparat, Angestellte der öffentlichen Dienste, Direktoren von Staatsunternehmen sowie Redakteure von Fernsehen, Rundfunk und auflagestarken Zeitungen von einem Richterausschuß anhand der noch existierenden Dokumente der Stasi prüfen lassen. Werden sie der Spitzeltätigkeit für schuldig befunden, können sie binnen 30 Tagen freiwillig zurücktreten. Andernfalls wird ihr Name bekanntgegeben. Einspruch gegen das Urteil und eine Neuprüfung läßt das Stasi-Gesetz zu.

Etwa 10.000 bis 12.000 Personen sind betroffen. Laut der festgelegten Reihenfolge sind nun zuerst die Abgeordneten an der Reihe. Ende November, nachdem der Richterausschuß die ersten 40 Dossiers geprüft hatte, sagte einer der Richter, József Eigner, dann aus, daß mindestens ein Abgeordneter Stasi-Informant gewesen sei – ohne sonstige Einzelheiten zu nennen. Prompt warfen ihm Politiker der sozialistisch-liberalen Koalitionsregierung Verletzung von Staatsgeheimnissen vor und forderten Eigner zum Rücktritt auf. Nachdem ein Parlamentsausschuß jedoch keinen der Vorwürfe gegen den Richter bekräftigen konnte dieser sich selbst weigerte, zurückzutreten, wurde er nun am vergangenen Sonntag selbst „durchleuchtet“ – und zwar via Rundfunk. Das ungarische Radio enthüllte, Eigner habe in den fünfziger Jahren Urteile über verbotenen Grenzübertritt und illegalen Waffenbesitz gefällt, was ihn laut Gesetz von der Arbeit im „Richterausschuß“ ausschließen würde.

Den Vorwurf, er habe auf Betreiben führender Politiker gehandelt, wieß der Redakteur der Sendung zurück. Mittlerweile wurde bekannt, daß der Parlamentsausschuß, der die Richter einsetzte, von den Urteilen Eigners wußte – und sie nicht als Hinderungsgrund für eine Ernennung ansah. Gestern nahm das ungarische Verfassungsgericht den Abgeorndeten, die sich vor der „Durchleuchtung“ fürchten müssen, dann die letzte Hoffnung: Das „Agentengesetz“ ist laut der Entscheidung der Richter nicht verfassungswidrig. Keno Verseck

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