Parkinsons Triumph in Polen

■ Die marktwirtschaftliche Bürokratie Polens wächst exponentiell / Geplant wird nicht mehr, doch die Planer bleiben / Vermehrung der gutbezahlten höheren Posten

Warschau (taz) – Dem englischen Gelehrten Cyril Parkinson verdankt die Menschheit die Einsicht, daß die staatliche Bürokratie um so schneller wächst, je weniger sie zu tun hat. Parkinson kam zu diesem Schluß, nachdem er festgestellt hatte, daß die Zahl der Angestellten des königlichen Kolonialministeriums immer weiter wuchs, während die Zahl der Kolonien stetig abnahm. Damals konnte er noch nicht ahnen, daß es Länder geben würde, die England in dieser Hinsicht völlig in den Schatten stellen.

Eines davon ist Polen. Dort hat man offenbar beschlossen, die Bürokratie nicht nur umgekehrt proportional zu ihren Kompetenzen wachsen, sondern sie gleich im Quadrat explodieren zu lassen. So ist inzwischen die Zahl der nur in der Zentralverwaltung in Warschau Angestellten zwischen 1989 und 1992 um 60 Prozent gestiegen. Polens Kommunisten planten Wirtschaftswachstum, Produktion und selbst Unternehmensgewinne. Klar, daß sie dafür ein Zentrales Planungsamt brauchten. Dann kam die Marktwirtschaft, Gewinne wurden nicht mehr geplant, sondern gemacht, doch alle folgenden Regierungen ließen das Amt am Leben. Heute beschäftigt es nur 20 Angestellte weniger als vor der Einführung der Marktwirtschaft.

Auf diese Weise hat sich die Zahl der Bürokraten des Ministerrats innerhalb von drei Jahren nahezu verdreifacht. Im polnischen Unterhaus, dem Sejm, arbeiteten 1989 gerade 224 Angestellte (neben den 460 Abgeordneten), drei Jahre später waren es bereits über 1.100. Das Oberhaus, dem 100 Senatoren angehören, explodierte geradezu: Aus 44 Mitarbeitern wurden 273.

Fast alle mit der Wirtschaft zusammenhängenden Ministerien haben inzwischen Aufgaben verloren, weil ein Großteil der ihnen unterstehenden Betriebe privatisiert wurde. Doch die Beamten sind geblieben. 1989 gab es zum Beispiel eine „Agentur für Auslandsinvestitionen“, die Lizenzen für Joint- ventures verteilte. Heutzutage brauchen Ausländer nur noch in Ausnahmefällen Lizenzen zur Firmengründung. Einen Teil der Agentur übernahm daraufhin das Privatisierungsministerium, der andere Teil machte sich selbständig als „Staatliche Investitionsagentur“, die im Ausland Reklame für Polens Wirtschaft machen wollte. Hoheitliche Kompetenzen hat sie nun gar keine mehr, Angestellte dafür um so mehr. 1989 waren es 31, heute sind es ungefähr doppelt so viele.

Als General Jaruzelski 1982 das Kriegsrecht verhängte, wurden in allen Ministerien eigene „Verteidigungsabteilungen“ eingerichtet. Sie bastelten eifrig an Plänen zum Schutz der Gebäude gegen Spione, Demonstranten und Infiltration durch Solidarność. Der General ist heute in Pension, der Kriegszustand seit zwölf Jahren aufgehoben, doch die Verteidigungsabteilungen treiben ihre logistischen Spielchen unverdrossen weiter.

Auch die Löhne von Polens Bürokraten erhöhen sich permanent, was unter anderem damit zusammenhängt, daß sich die höheren Posten der Administration vermehren wie Pantoffeltierchen. Über achtzehn Prozent der zentralen Bürokraten sind entweder Direktoren oder Abteilungsleiter. Weiter wächst die Zahl der Woiwodschaftsdelegaturen auf dem Land, obwohl denen seit 1990 die Kommunen einen Großteil ihrer Kompetenzen abgenommen haben.

Damit sich die wachsenden Staatsausgaben nicht allzu auffällig im Budget niederschlagen, werden von Zeit zu Zeit Sonderfonds gegründet, die den Vorteil haben, daß man sie ohne Parlamentskontrolle mit Pateigenossen besetzen kann. Als 1990 die erste nichtkommunistische Regierung die Macht übernahm, liquidierte sie fast alle Sonderfonds. Die meisten sind unter anderem Namen inzwischen wieder auferstanden.

Parkinson hatte seinerzeit ausgerechnet, daß im Jahre 2195 alle arbeitsfähigen Briten in der Staatsverwaltung beschäftigt sein würden, sollte die von ihm beobachtete Tendenz anhalten. Auch hier hat Polen Großbritannien bereits überholt. An der Weichsel verdoppelt sich die Bürokratie nämlich bereits alle fünf Jahre, und da würde es nur knapp 40 Jahre dauern, bis alle erwerbstätigen Polen in einem Warschauer Ministerium arbeiten.

Trotzdem gibt es zwei Tatsachen, die hoffnungsvoll stimmen: Polen hat im europäischen Durchschnitt ein relativ hohes Bevölkerungswachstum, was den Verbürokratisierungsprozeß etwas aufhalten dürfte. Und außerdem wird in Polen ja immerhin eifrig gespart – meist allerdings dort, wo es kaum noch geht. 22 Prozent weniger Beschäftigte hat so der Oberste Rechnungshof, jene Institution, die eigentlich die Sitten und Gebräuche der polnischen Bürokratie kontrollieren sollte.

Im Vergleich zur internationalen Lage von 1989 hat Polen heute vier Nachbarstaaten mehr. Doch im Außenministerium arbeiten sieben Prozent weniger Beamte als vor vier Jahren. Womit Parkinsons Gesetz, wonach die Bürokratie wächst, je weniger sie zu tun hat, um eine polnische Variante zu ergänzen wäre: Je mehr sie zu tun hat, desto schneller schrumpft sie. Klaus Bachmann