Späte Genugtuung für einen Gutachter

Der Tod von Uwe Barschel beschäftigt wieder alle Stellen / Familie zeigt sich zufrieden / Aber noch tappen sie alle im dunkeln / Ein Thema für attraktiven Medienstreit  ■ Von Andreas Zumach

Genf/Lübeck (taz) – Die Familie Barschel ist zufrieden, daß der Tod des CDU-Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein wieder alle beschäftigt. In den vergangenen sieben Jahren habe er das Gefühl gehabt, „bei administrativen und politischen Stellen gegen eine Gummiwand zu stoßen“, sagte gestern der Anwalt der Familie. Doch noch tappen die Behörden im dunkeln. Bisher gibt es lediglich Spekulationen, wonach frühere Stasi-Offiziere inzwischen Informationen geliefert haben sollen, die Hinweise auf ein Fremdverschluden am Tod Barschels bestätigt hätten.

Die „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden“ am Tod Barschels jedenfalls, mit der die Lübecker Staatsanwaltschaft am Mittwoch die Aufnahme der Mordermittlungen begründete, sind keineswegs neu. Geliefert werden sie durch ein toxikologisches Gutachten des renommierten Zürcher Professors Hans Brandenberger. Er hält es für „sehr unwahrscheinlich“, daß Barschel nach vorheriger Einnahme dreier Arzeneimittelstoffe mit betäubender Wirkung „noch handlungsfähig“ war, als die tödliche Dosis des starken Schlafmittels Cyclobarbital in seinen Körper gelangte. Diese These vertrat der Toxikologe bereits im November 1987, nachdem ihm die Genfer Mediziner den Obduktionsbefund am Telefon vorgelesen hatten. Sie wurde weder von den Schweizer noch von den deutschen Behörden beachtet. Offiziell gingen die Ermittlungen zwar in alle Richtungen, beschränkten sich in der Praxis aber auf die These vom Selbstmord, den die Genfer Untersuchungsbehörde im November 1989 in einem ersten Abschlußbericht praktisch zur Tatsache erklärte, da es keinen Beleg für einen Mord gebe. Ein abschließender Untersuchungsbericht liegt bis heute nicht vor.

Dennoch machte sich der Spiegel in der kommenden Ausgabe die Selbstmordthese zu eigen. Hatte er doch noch im Dezember 1989 über jene hergezogen, die einen Mord zumindest nicht ausschließen wollten: „An dieser Fiktion halten nur noch zwei konträre Redaktionen fest. Die linke Tageszeitung befand trotzig, Zweifel am Selbstmord seien nicht endgültig ausgeräumt. Und das rechte Münchner TV-Magazin Report behauptete schlankweg: ,Was wirklich im Genfer Hotel Beau-Rivage geschah, fördert auch der Abschlußbericht nicht zutage.‘“

Den regulären Auftrag für sein Gutachten erhielt Brandenberger fünf Jahre nach Barschels Tod, 1992, von der Genfer Untersuchungsrichterin Carole Barbey. Erst Monate später konnte er mit den Untersuchungen beginnen, nachdem die Richterin zahlreiche, für den Wissenschaftler völlig unakzeptable Einschränkungen (etwa keine volle Einsicht in die Untersuchungsdaten der Genfer Behörden) zurückgenommen hatte. Im Mai 94 legte Brandenberger sein Gutachten den Genfer Behörden vor, die es jedoch geheimhielten und es spätestens im Juli an die Lübecker Staatsanwaltschaft übermittelten, die es ebenfalls unter der Decke hielt. Als seine Existenz Anfang Oktober durch eine Indiskretion bekannt wurde, bemühte sich die Staatsanwaltschaft, die Arbeit des Zürcher Professors als irrelevant abzutun – unter anderem durch eine bei zwei Münchner Toxikologen, offiziell als „Glaubwürdigkeitsgutachen“ bezeichnet, bestellte Gegenexpertise. Brandenberger fordert die vollständige Veröffentlichung seines von den Genfer und Lübecker Behörden immer noch unter Verschluß gehaltenen Gutachtens. Auch ist er bereit, die Kritik seiner Münchner Kollegen bei einer Gegenüberstellung Punkt für Punkt zu widerlegen. Die Münchner Toxikologen sind zu einer solchen Gegenüberstellung bereit, doch noch verweigert der Lübecker Staatsanwalt die dafür notwendige Genehmigung.