Die große Göttin gebiert das Licht

■ Woher stammt die Symbolik der Weihnacht? / Ein Gespräch über Licht, Dunkelheit und Angst

Was wurde vor dem Christentum in der Weihnachtszeit gefeiert? Wir fragten die Bremer Religionswissenschaftlerin Dr. Donate Pahnke.

taz: Seit wann gibt es das Weihnachtsfest in der Fassung vom 24. Dezember?

Donate Pahnke: Im 4. Jahrhundert wurde das Christentum im alten Rom Staatsreligion. Zu der Zeit feierten die Leute die Wintersonnenwende (heute der 22. Dezember) als die Geburt des Lichtes. Und dieses römische Fest wurde dann zum Geburtstag von Christus gemacht. Auf ihn wurde die gesamte Sonnensymbolik übertragen – so wie man vorher auch schon die römischen Kaiser als Sonnenkönige gefeiert hat.

Und daraus kommt die Tradition Kerzen anzuzünden?

Die Feier des Lichtes paßt einfach zur Symbolik der Wintersonnenwende. Es ist die längste Nacht des Jahres, quasi die „Nacht des Jahres“ überhaupt, auch die „Mitternacht“ und – bei den Germanen – auch die „Mütternacht“.

Wieso Nacht der Mütter?

Man stellte sich vor, daß die Sonne geboren wird, daß die große Göttin die Sonne gebiert.

Welche Frauen oder Gottheiten trugen diese Symbolik?

Das war nicht personifiziert. Die Geburt des Lichtes wurde generell allen Müttern und der Großen Göttin als solche zugeschrieben.

Gibt es andere Bräuche rund ums Weihnachtsfest, die vor dem Christentum schon da waren? Woher kommt denn der Weihnachtsbaum?

Die Germanen hatten den Brauch, heilige Bäume zu verehren. Der ganze Kosmos in der germanischen Religion ist so aufgebaut wie ein Baum – der Lebensbaum – mit den Wurzeln in der Erde, dem Stamm und dann den Zweigen im Himmel, also ein Baum als Verbindung von Unterwelt und Himmel. Und die Germanen feierten ihren Kult in heiligen Hainen, also draußen, unter Bäumen.

Spielten Frauen in diesem Kult eine Rolle?

Es kommt darauf an, von welcher Zeit Germaniens man spricht. Zur Zeit der Christianisierung war das alte Germanien schon erzpatriarchal. Die Frauen hatten fast nichts mehr zu sagen, und Germanien war beherrscht von kriegerischen Männerbünden. In älteren Zeiten – zur Zeit der Wanen etwa – war das anders.

Gibt es aus dieser älteren Wanen-Zeit noch Bräuche, die sich bis zu unserem Weihnachtsfest erhalten haben?

Weniger im Weihnachtsfest als zur Zeit von Silvester. Man darf Weihnachten und Silvester eigentlich nicht trennen, denn viele der heidnischen Bräuche haben sich zeitlich verschoben, weil die christliche Kirche sie an Heiligabend nicht geduldet hätte. Das Orakeln, das im heutigen Bleigießen weiterlebt, ist ein Beispiel dafür. Zur Zeit der Wanen orakelten die Seherinnen mit Beginn des neuen Sonnenjahres, was das Jahr so bringt.

Wie haben die das gemacht? Die haben ja nicht aus dem Kaffeesatz gelesen...

Nein. Es gibt in der Edda das Lied der Völva. Die Völvinnen, die Seherinnen, saßen auf dreibeinigen Gestellen, unter denen mit würzigen Kräutern Feuer gemacht wurde. In diesem Rauch haben sie geweissagt. Sie waren umgeben von einem Kreis von Frauen, die Musik machten und sangen und die Trance der Seherinnen unterstützten.

Ein anderes Fest ist die Feier der „Rauhnächte“, in denen eine wilde Frau oder ein wilder Mann mit Geistern durch die Luft zieht. Diese Geister konnten gefährlich werden...

Warum glaubte man an Geister?

Das hatte zu tun mit der Umstellung vom Mondjahr auf das Sonnenjahr in der heutigen Form, das die Christen eingeführt haben. Dadurch ergab sich eine Vakanz – Tage, die zu keinem Jahr so richtig dazugehörten. Die Menschen haben in diesen Tagen dann Angst gehabt vor den Dämonen. Denn es ist ja so, daß im Christentum immer die Götter, die besiegt worden sind, zu Dämonen wurden. Und die fangen dann an zu spuken.

Und diese Dämonen mußte man dann bannen...

Genau. Es gab allerlei Bräuche, zum Beispiel, Teller mit Essen aufzustellen, weil man diese herumfliegenden Windgeister füttern mußte. In einigen Gegenden Deutschlands wird das heute noch gemacht. Und man darf keine Wäscheleinen draußen aufhängen, weil sich die Geister sonst darin fangen.

Wenn wir das auf eine psychologische Ebene heben: Was symbolisieren diese Geister?

Es sind die Geister der Dunkelheit. Das Christentum ist ja eine Religion, die das Licht feiert, die das Licht grenzenlos idealisiert: Gott ist das Licht. Und das Licht ist das Gute. Jetzt ist die Frage: Was macht man dann mit der Dunkelheit? Dann kann ja die Dunkelheit nur noch böse sein, die gehört zum Teufel und zu den bösen Geistern. Und es ist klar, wenn ich mich auf das Licht fixiere, habe ich um so mehr Angst vor der Dunkelheit und muß sie bannen. Daraus entstanden diese Geister-Bräuche.

Aber da scheint mir ein Widerspruch zu sein. Hatten die Leute nicht schon vor Beginn des Christentums Angst vor der Dunkelheit?

Ja. Auch die spätgermanische Religion ist ja eine Lichtreligion. Der ganze indogermanische Raum hatte diese Lichtsymbolik und auch der alte Orient. Auch deswegen konnte das Christentum hier so gut missionieren, weil viele Vorstellungen schon da waren, in die sich die christliche Symbolik mühelos einfügen ließ.

Dann gab es vorher also eine Göttin, die in der Dunkelheit zu Hause war?

Ja. In der germanischen Mythologie gibt es noch die Göttin Hel, die Göttin der Unterwelt, von der sich auch die Wörter „Höhle“ und „Hölle“ ableiten. Das ist die Frau Holle. Zu der kommt man, indem man durch den Brunnen nach unten fällt. Sie ist die Göttin von Tod und Wiedergeburt – es ist wichtig, das in einem zu sehen. Es ist die Erde, in die das Vergangene eingeht, und aus der der Same neu austreibt und wiederkommt. So wie die Sonne „stirbt“ und in die Unterwelt eingeht, aus der sie dann zu Mittwinter wiedergeboren wird.

Fragen: Gabriele Wittmann