Sanssouci: Vorschlag
■ Zirkus Gosh mit „Shak Edi Bobo“ im Hebbel-Theater
Jeder Zirkus träumt den Traum vom Fliegen. Die Artisten am Trapez und die Bälle des Jongleurs haben die Schwerkraft ausgetrickst. Vielleicht tauchen in dem alternativen Zirkus Gosh deshalb immer wieder kleine Spielzeugflugzeuge auf. Sie bleiben am Boden. Die Vorstellung hebt ab.
„Gosh“ ist musikalisches Zirkustheater. Im neuen Programm „Shak Edi Bobo“ unter Michel Dallaires Regie rahmen viele kleine und große Geschichten die Kunststücke der Artisten ein. Am Anfang schlurfen müde Musiker auf der Bühne herum und Foto: Thomas Aurin
attackieren eine potemkin-
sche Badezimmertür, der Keyboardspieler wird sein Handtuch (kombiniert mit einem Frottee-Frack) bis zum Ende anbehalten. Später geht die schwimmende Badewanne des Ritters Lancelot vor Anker, drei Mädchen suchen einen Prinzen und kriegen ein Rumpelstilzchen. Die Geschichten verschränken und verzweigen sich, bilden Strudel und Blasen und führen immer wieder zu hinreißenden artistischen Leistungen. Kathrin Mylnek und Christine Ritter schwingen im langen Abendkleid von ihrem Trapez herab, das mit seiner Jalousie aussieht wie eine gemütliche kleine Mansarde der WG. Die Akrobatin Sabine Rieck bricht plötzlich in jammervolles Heulen aus und veralbert so das klischeeselige Mitleid des Zuschauers mit den vom Zirkusdrill Geplagten. Dazwischen turnen ein Tänzer und ein liebenswerter Tölpel herum. Dieselbe akrobatische Übung gerät dem einen zum Ballett und dem anderen zum ersten Gehversuch eines Kleinkinds. Während des ganzen Programms spielt die Band Mainstream-Rockmusik. Der Schlagzeuger Marcus Greiner holt im Notfall auch aus neun Eimern (an drei Schauspielern) ein fetziges Solo heraus. Leider ist die Musik fast immer zu laut und stumpft so die Aufnahmefähigkeit der Zuschauer ab.
Gosh, vor vier Jahren gegründet, ist der größere, buntere und auch komischere Bruder des stilleren „Que-Cir-Que“, der zur Zeit ebenfalls in Berlin gastiert. Beide Unternehmen vertreten eine junge Zirkuskunst – ohne Goldlitzen, Tusche und dressierte Tiere, dafür mit fast unerschöpflicher Phantasie. Die Grenzen zwischen Musikern, Artisten und Clowns verschwimmen ebenso wie die zwischen den einzelnen Nummern. Die Künstler spielen miteinander, mit ihren Requisiten und mit der Zirkustradition. Beim Messerwerfen zum Beispiel wird beinahe der Bassist massakriert – von der Spitze eines Damenschuhs. Die Künstler wurden bejubelt und vom Publikum ausgiebig mit Kamellen beworfen. Miriam Hoffmeyer
Weitere Vorstellungen: 23.-28.12., 31.12. und 3.-7. Januar jeweils um 20 Uhr im Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg.
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