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K wie kleiner Unterschied

Sie wollen nicht sein wie Dieter Hildebrandt – und machen trotzdem Kabarett, sie haben keine Probleme mit Weiblichkeit und zeigen sich so, wie Männer sie sehen: Berliner Kleinkünstlerinnen zwischen Despektierlichkeit und Erfolg  ■ Von Anke Nolte

Noch immer ist die Berliner Kabarett- und Varietészene von Männern dominiert: Im Mehringhof- Theater, eine der ersten Kabarett- Adressen in Deutschland, sind in über 100 verschiedenen Programmen nur zwei Frauen aufgetreten. „Ehrlich gesagt, kenne ich keine Kabarettistin im Augenblick“, gibt der Leiter Christian Lutschtinetz zu. Genauso im Varieté: in der Scheinbar, im Chamäleon und im Wintergarten lachen wir uns über Detlev Winterberg, Karl-Heinz Helmschroth und Felix Gaudo schlapp. Doch wo sind die komischen, die satirischen, die witzigen Frauen in der Metropole Berlin, mit ihren eigenen Programmen und Texten?

In aller Schönheit blöd sein

Können Frauen überhaupt komisch sein? Seit zwanzig Jahren kämpfen sie darum, ernstgenommen zu werden – da fällt es nicht leicht, lustig zu sein und sich lustig zu machen. „Satire setzt das tiefe Gefühl von gesellschaftlicher Teilhabe voraus“, konstatiert die Frankfurter Kabarettistin Hilde Wackernagel. Um in der Gesellschaft teilhaben zu können, wollen oder müssen Frauen oft genug schön sein und gefallen. Aber in aller Schönheit schön blöd sein, ist schwierig. (Wie wahr, wie wahr, lieber schön als blöd sein, sagt sich die säzzerin)

Im winterlichen Berlin trauen sich etwa die Komikerinnen Gabi Decker und Gabi Sutter, die Kabarettistin Gisela Oechelhaeuser, die Stepkomödiantinnen Stepinskis und die Clowninnen Charla Drops und Frau Dochnoch, komisch und häßlich zu sein und sich selbst nicht so ernst zu nehmen.

Das Motto der Berliner Kabarettistin Gabi Decker, bekannt durch zwölf Folgen der Mike-Krüger-Show und seit neun Jahren feste Sketchpartnerin von Hans- Werner Olm: „Je häßlicher, desto schöner“. In ihrem ersten Soloprogramm („Ich wär' so gerne Chauvinist“), das sie im November dieses Jahres im Ratibor-Theater vorstellte, spielt sie Frauen chauvinistisch, hypochondrisch, karrieregeil oder ordinär – „So, wie 80 Prozent der Männer sie sehen“, wie sie selbst sagt.

Die Komik als einzige Chance

Die Stepinskis, alias Jutta Burger (33) und Natascha Fiedler (29), trauen sich nicht nur zu steppen, daß die Bretter der Scheinbar wackeln, sondern auch häßlich zu sein, daß es kracht. In ihrem Programm „Märchen und Grauenhaftes“ ist das von Eßstörungen und Alkoholismus geplagte Geschwisterpaar Schneeweißchen und Altrosarot grauenhaft unschön, die eine ein „langes, dürres, dummes, verfressenes Klappergestell“, die andere ein „verschlagener, versoffener, kräftiger Kleinwuchs“ – keine Konkurrenz für die böse Stiefmutter, die auf der Suche nach der schöneren Frau im Land das Spiegelei in der Pfanne befragt.

Seit drei Jahren arbeiten die beiden gelernten Schauspielerinnen zusammen, vom Freilichttheater Spandau hatten sie genug. Statt dessen ließen sie sich in der „Etage“ im Steptanz ausbilden.

„Komik war damals unsere einzige Chance, denn steppen konnten wir noch nicht richtig“, sagt Jutta. Sie haben ihre Chance gut genutzt: Bereits nach einem ihrer ersten Auftritte wurden sie ins Hamburger Schmidt-Theater geholt, in Berlin steppten sie sich bald durchs Unart und die Scheinbar, durchs Chamäleon und die Bar jeder Vernunft.

Auch die Berliner Komikerin und Kinderbuchillustratorin Gabi Sutter kennt keinerlei Eitelkeiten. Als spießige Postinspektorsgattin Frau Möllenbaum, im Pelzjäckchen gelegentlich die Hasenzähnchen bleckend oder als distinguierte, dauerlächelnde Moderatorin Henriette von Amelskirchen, führt sie seit 1988 durch ihre Soloprogramme, in denen sich die skurrilsten Typen im rasanten Tempo abwechseln – vom aufgedonnerten Vamp bis zum schüchternen Mädchen, das so gerne onaniert.

Dazwischen trällert die ehemalige Hardrock- und Blues-Sängerin ihre pfiffigen Liedchen. In ihrem neuesten Programm „Klarabella's Lust“ möchte die 42jährige endlich mal „allein“ auf der Bühne lustwandeln, singend und plappernd von Gelüsten aller Art. „Einen Dieter Hildebrandt dürfen die Leute nicht erwarten“, warnt die Künstlerin, denn politisches Kabarett mache sie nicht.

Einen Dieter Hildebrandt scheint aber Christian Lutschtinetz vor sich zu sehen, wenn er von Kabarett spricht. Gabi Decker und Gabi Sutter machen keins? „Die fahren mehr die Comedy- Schiene“, sagt er. Damit fährt er die – vorwiegend männliche – Schiene des (tages-)politisch-satirischen Kabaretts, wo viel Quatsch geredet, aber wenig Quatsch gemacht wird.

Viele Künstlerinnen haben mit dieser Tradition nicht so viel am Hut. Sie thematisieren das Geschlechterverhältnis oder machen ihre Faxen ohne viel Worte. „Männer thematisieren die große, weite Welt, ohne sich selbst zu kennen“, sagt die Kölner Kabarettistin Rosa K. Wirtz, „Frauen gehen erst mal an ihrem eigenen Körper entlang.“

Doch auch in der Komik gibt es neben dem kleinen Mann-Frau- auch den Ost-West-Unterschied. Gisela Oechelhaeuser, Intendantin der Distel, des renommiertesten Kabaretts in der ehemaligen DDR: „Ich sage das mit großer Vorsicht: Im Ostteil sind die Kabarettistinnen politischer.“ Was daran liege, daß das Kabarett im real existierenden Sozialismus immer auf einen „Sinn“ verpflichtet worden sei. Da bleibt „unsinnige“ Comedy auf der Strecke.

Außerdem pflege man das Ensemble-Kabarett, während sich West-Frauen eher solo und mit eigenen Texten präsentieren. Das Hauptthema im Osten ist immer noch – verständlich, aber für Wessis manchmal nervig – die Vereinigung. Doch auch Gisela Oechelhaeuser bezieht als Frau Position, wenn sie beispielsweise die Bundestagspräsidentin als „Schönheitspflästerchen am Arsch der Demokratie“ bezeichnet.

Wieder zurück in den Westen: Jenseits von Sinn und Wirklichkeit, von Männer- und Frauenrollen bewegt sich Charla Drops im Unart. Keine Kabarettistin, keine Komikerin, sondern eine Clownin. Ob der Arlecchino in der Commedia dell'Arte oder deutsche Hanswurst, ob Francesco, Fumagalli oder Zippo vom „Zirkus Roncalli“ – immer war und ist der Clown ein Mann, wenn auch ein ziemlich unmännlicher. Steckt ein weiblicher Körper unter der Verkleidung Charly Chaplins – nur vorne an der leichten Wölbung des Jäckchens zu erkennen –, irritiert das unsere Sehgewohnheiten. Als verhinderter Klempner muß Charla Chaplin röhrende Rohre und sich windende Schläuche bändigen, um schließlich „Halsüberkopf“ (der Titel ihres Soloprogramms) in einem Schlauch zu verschwinden. Nicht Mann, nicht Frau, nicht Tier, nicht Ding – beim Clown, bei Frau Clown noch mehr, verschwimmen die Geschlechter- und Gattungsgrenzen.

Vor elf Jahren bereits gründeten Charla Drops alias Barbara Klöwer (36) und ihre Partnerin Luna Luder, Frau Dochnoch oder Frau Schamrock alias Eva Hass (44) das Unart in der Kreuzberger Oranienstraße. In zeitlosen Kleinstdramen verrenken die gelernte Krankengymnastin (Charla) und die studierte Psychologin (Eva) ihre biegsamen Körper und verrückten die Wirklichkeit, kehren das Kreatürliche auf aberwitzige Weise hervor.

Aus Kabarett wird Cabaret

Frauen können komisch sein, und zwar auf ihre Art. Und die scheint inzwischen auch offiziell gewürdigt zu werden. Während die Busennummer von Rosa K. Wirtz letztes Jahr im Ratibor-Theater vom Tagesspiegel naserümpfend als „geschmacklos“ tituliert wurde, ist die Kölnerin dieses Jahr mit dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnet worden. Sie offenbare mit sinnlichem, weiblichem Witz provokante Sichtweisen, „die überraschen und überzeugen, gerade in einer von Männern dominierten Kabarettszene“. Der weibliche Körper dringt ein ins männliche Kabarett, und aus dem „Kabarett“ mit „K“ wird Cabaret, wird Comedy und Clownerie.

Die Stepinskis: 21.-25., 28.-31.12. mit „Märchen und Grauenhaftes“ im Unart; Charla Drops: 23./24., 30./31.12. in den „Mitternachtsspitzen“ im Unart; Gabi Sutter: 2.-9.2.95 mit „Klarabellas Lust“ im Ratibor-Theater; Gisela Oechelhaeuser: 4.2., 5.2.95 in der Distel; Gabi Decker tritt im Februar oder März 1995 in Berlin auf.

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