Palmtree statt Tannenbaum

„Oh du frööhlichehe ...“? Einige Alternativen zum verschämten Pralinenfuttern am Gabentisch und dem Ersatz-Bürgerkrieg an Silvester – Ein Blick auf traditionelle Festlichkeiten ausländischer „Communities“ in Berlin  ■ Von Noäl Rademacher

Mein deprimierendstes Weihnachtsfest erlebte ich als Sechzehnjähriger, als mich ein Schulfreund dazu überredete, nach der feierlichen Bescherung mit Eltern und protestantischem Kartoffelsalat aus dem Haus zu schleichen und in die Stadt zu einer „Swinging X- mas-Party“ zu gehen.

Das Ganze entpuppte sich als Lonely-Hearts-Treff für Langzeitstudenten, nicht viel aufregender als Totensonntag, und so landeten wir beide schließlich in der Kieler Hafenkaschemme „Zur Seezunge“, wo unter einem mager geschmückten Weihnachtsbaum einige angetrunkene Familienväter vergeblich versuchten, zwei junge Prostituierte dazu zu überreden, auf dem Tisch zu tanzen und „Der gute König Wenzeslaus“ zu singen. Außerdem gab es schon wieder Kartoffelsalat.

Berliner sind zum Fest gern unter sich

In Berlin geht es dieser Tage kaum festlicher zu als im naßkalten Friesenland: allerlei rote Warnblinkanlagen in den Wohnzimmerfenstern signalisieren dem ungebetenen Gast: am Festtag ist und bleibt man lieber „unter sich“. Wer allerdings nach Auswegen sucht aus jener alljährlichen Advents- Tristesse, die hierzulande gerne mit Konsumgüter-Bombardements kompensiert wird, dem sei ein Blick auf die vielen ausländischen „Communities“ in Berlin empfohlen: Asiaten, Kurden, Afrikaner und Griechen, die in Berlin wohnen, haben aus ihren Heimatländern Festtraditionen in die Stadt gebracht, die sich wohltuend von den unsrigen unterscheiden.

Auf der Veranstaltung „Weihnachten zwischen den Welten“, die am Mittwoch in der „Wabe“ stattfand, stellten Musikgruppen von Zuwanderern aus aller Welt – von China bis Ghana – ihre jeweiligen Festtraditionen zum Jahreswechsel vor.

Kurden haben dieses Jahr nichts zu feiern

Eine interessante Alternative zum verschämten Pralinenfuttern am Gabentisch und dem aggressiven Ersatz-Bürgerkrieg am Silvesterabend bietet zum Beispiel das islamische Neujahrsfest „Newroz“: Traditionell als Symbol für Freiheitskampf und Widerstand gegen die Tyrannei geltend, läutet „Newroz“ („Neuer Tag“) am 21. März für Perser, Kurden, Aserbaidschaner und Afghanen das neue Jahr ein. Seinen Ursprung hat das Fest der Sage nach in dem Sieg der Kurdischen Bergbevölkerung über den Tyrannen Dhak im Jahre 610 vor Christus: der grausame König, der zur Heilung einer Krankheit regelmäßig die Opferung von Kindern befahl, wurde von einem Schmied erschlagen, der zur Rettung seines jüngsten Sohnes zu den Kurden in die Berge geflohen war. Daraufhin entzündeten die Kurden riesige Freudenfeuer.

Das Fest wird noch heute mit stolzen Tänzen begangen: junge Kurden und Kurdinnen bewegen sich in nach Geschlecht getrennten Formationen umeinander, zu stampfenden Trommel-Rhythmen werden bunte Tücher geschwenkt und ausgelassene Schreie ausgestoßen. In Berlin feiert die Kurdische Gemeinde das Fest traditionell im „Haus der Kulturen der Welt“. Die Stimmung bei den Berliner Kurden wird jedoch stark getrübt durch die aktuelle Wiederaufnahme der Bombardierung kurdischer Dörfer durch die türkische Regierung: „Dort wird in diesem Jahr mit Sicherheit nicht gefeiert“, sagt Haysi Sariba erbost. „Erst muß diese zeitgenössische, von der Nato gebilligte Tyrannei ein Ende finden.“

Buddhisten feiern die Ankunft der Geister

In Vietnam, China, Japan und Korea feiert man den Beginn des neuen Jahres gleich zwei Wochen lang mit dem Têtfest. Nach dem buddhistischen Glauben erstatten die Geister eine Woche vor Ende des Mondjahres (in diesem Jahr am 2. Februar 1995) gegenüber dem Himmelskaiser Bericht über die Menschen. In der Neujahrsnacht wird die Ankunft der Geister auf der Erde mit einem riesigen Umzug gefeiert, die bösen unter ihnen werden derweil mit einem Feuerwerk vertrieben.

Mit der deutschen Silvesterschlacht kann sich Dang Ngoc Long aus Vietnam, der seit 12 Jahren in Berlin wohnt, jedoch nicht anfreunden: „In meiner Heimat ist Neujahr ein Fest des Friedens und der Freude. Hier in Berlin ist mir die Stimmung zu aggressiv“. Zum weihnachtlichen Geschenk-Terror gibt es dort ebenfalls keine Parallele: „Geschenkt wird nur ganz freiwillig und ohne Streß“, erzählt Long. Unverzichtbar sei dagegen die gemeinsame Fleischmahlzeit, in der Regel die einzige im Jahr.

Zuerst kommt die große Aussprache

Nebensache sind die Geschenke auch beim christlichen Weihnachtsfest, wie man es in Ghana feiert. Seth Boye, Percussionist in der Band „The Relatives“, erzählt, daß dort stattdessen Hausfeste stattfinden, bei denen alle Mitbewohner gemeinsam ausgelassen tanzen und feiern. Die aufgepfropften Riten der Kolonialherren hat man längst an die eigene Mentalität angepaßt: an Stelle von falscher Demut herrscht Ausgelassenheit; als Tannenbaum-Ersatz muß der palmtree herhalten. Das traditionelle Familienfest ist dagegen Neujahr: „An diesem Tag zieht man sich in den engsten Kreis zurück, um Probleme und Streitigkeiten innerhalb der Familie zu klären“, erzählt Seth. „Erst wenn alles wieder im Lot ist, setzt man sich gemeinsam an die Tafel.“ In Berlin lebende Ghanaer treffen sich Heiligabend in der TU zur Party, die auch für alle anderen offen ist.

Und aus Daffke: Gassenhauer

Nur Spott hat der Grieche Jannis Zotos für das Weihnachtsfest übrig: „Wie wir wissen, spielte Weihnachten im antiken Griechenland keine sehr große Rolle.“ Mit seiner Band „Zotos Compania“ gab er deshalb ohne Rücksicht auf deutsche Befindlichkeiten Rembitigo-Gassenhauer der 20er Jahre zum besten, die, wie er genüßlich hinzufügte, mit Vorliebe in Hafenkneipen und Bordells gespielt wurden. Einen Moment lang glaubte ich, die Melodie vom „guten König Wenzeslaus“ herauszuhören.

Heute abend ab 21 Uhr wird in der Alten TU Mensa „Weihnachten in Ghana“ gefeiert, mit George Darko & Band und kulinarischen Spezialitäten, Hardenbergstraße 34, Charlottenburg.