„Das ist fast wie ein Rausch“

Alle Jahre wieder kommt der Weihnachtsmann als Gepäckträger, Seelentröster und Videostar / Etwa 1.000 Weißbärte bescheren 13.000 Mal  ■ Von Barbara Bollwahn

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, sofern es nicht der Weihnachtsmann ist. Der 33jährige Student Bernhard ist einer der knapp 500 notorischen Christbaumlügner von Tusma e.V. Allein die beiden Arbeitsvermittlungen Tusma und Heinzelmännchen schicken jedes Jahr zur Heiligen Nacht fast 1.000 Weißbärte zu mehr als 13.000 Bescherungen.

1988 stapfte der Maschinenbaustudent zum ersten Mal durch die Stadt. Er wollte zum Fest der Liebe nicht mehr nach Hause fahren, aber auch nicht bei Freunden feiern. Um der „klassischen Weihnachtsdepression“ zu entgehen, entschloß er sich, im Wedding zu bescheren, wo er damals wohnte. „Ich wollte gucken, wie die Gestalten da feiern.“

Sobald die Anfangsnervosität nachgelassen habe, vergesse er manchmal, daß er Student ist. „Das ist dann fast wie ein Rausch“, sagt er, „vielleicht fühle ich mich manchmal sogar wie der Weihnachtsmann“. An eine der ersten Bescherungen im tiefsten Wedding erinnert er sich noch gut: eine „fast alptraumartig ausgestaltete schniecke Wohnung“, wo alles perfekt war. Das Kind habe ausgesehen, als sei es „gerade aus einem Modegeschäft entsprungen“. Solche „Minimalkonstellationen“ von Vater, Mutter und Kind findet Bernhard die traurigsten. Durch „das fehlende Publikum“ wachse auch die Anforderung an ihn, die Erwartungshaltung der Eltern auszugleichen und den Druck vom Sproß der Familie zu nehmen.

In schlimmster Erinnerung ist ihm eine „Groteske“ in einer Parterrewohnung im Wedding. Dort traf er auf mehrere Erwachsene, die zum Teil im Unterhemd auf der Couch saßen und bei Bier und Fernseher das Fest der Liebe feierten. Auch die Kinder glotzten in die Röhre. Der Profi-Weihnachtsmann legte den Sack mit den Geschenken aus der Hand und nahm statt dessen die verfahrene Situation in dieselbe: „Ich habe erst einmal veranlaßt, daß der Fernseher ausgeschaltet wird. Dann waren die Erwachsenen dran. Alle durften der Reihe nach ein Gedicht aufsagen oder ein Lied singen.“ Wer sich weigerte, bekam kein Geschenk.

Wenn Bernhard eine Heiligabend-Tour von bis zu zwölf Bescherungen hinter sich hat, schmeißt er seine Kutte gegen 20.30 Uhr in die Ecke und entspannt erst mal. „Ich bin dann völlig hyper, total aufgedreht, und muß erst einmal runterkommen.“ Wenn er geduscht, literweise Wasser getrunken und seine eigenen Geschenke ausgepackt hat, kommt die eigentliche Bescherung: bei 43 Mark pro Auftrag, abzüglich weniger Mark zur Finanzierung der Weihnachtsmannaktion und einer kleinen Vermittlungsgebühr, kommt eine ganz erkleckliche Summe zusammen. Dazu sackt Bernhard im Schnitt noch 15 Mark Trinkgeld pro Bescherung ein. Nicht umsonst hat er im Wedding zwischendurch den „Beutel zu Hause abgeworfen“. Denn: „Nichts ist leichter, als abends gegen 20 Uhr durch die Stadt zu fahren und Weihnachtsmänner abzuzocken.“

Auch wenn man in der Stillen Nacht ganz gut verdienen kann, reiche das als Motivation nicht aus. Damit würde man früher oder später Schiffbruch erleiden. „Weil dir das dann irgendwann zum Hals raushängt“, sagt Bernhard. Man müsse Spaß und Freude an dem Job haben.

Genau aus diesem Grund hängt sich auch Michael alle Jahre wieder den weißen Bart um, versteckt seinen fülligen Bauch unter dem roten Kostüm und düst durch sein Stammgebiet Marienfelde. Falls er in der zweiten Reihe oder auf dem Gehweg parken muß, hat er ein Schild im Auto, das ihn bisher immer vor Strafzetteln bewahrt hat: „Achtung Weihnachtsmann. Komme gleich wieder“. Als er einmal im himmlischen Auftrag mit 120 Sachen die Bundesallee entlangdonnerte und sich noch dazu einen Piccolo genehmigte, winkten ihn vorbeifahrende Polizisten nicht etwa an den Straßenrand, sondern ihm zu.

In den 14 Jahren Weihnachtsmann hat Michael allerhand erlebt. Er wird wohl nie vergessen, wie er einmal mit den Worten: „Meine Frau soll auch mal was Schönes erleben“ von einem Mann mit glasigen Augen ins Wohnzimmer geführt wurde. Dort lag die Dame des Hauses nackt auf dem Sofa und wartete auf ihre ganz persönliche Bescherung. Halleluja! Er steckte seine Rute wieder ein und ließ das Paar allein. Genausowenig werden Wünsche von Eltern erfüllt, die vom Weihnachtsmann erwarten, daß er deren „Erziehungsdefizite“ an diesem einen Tag aufhole. Am liebsten sind Michael Bescherungen mit ganz wenigen Geschenken. Oft genug fühle er sich aber leider Gottes zum „Gepäckträger“ degradiert.

Manchmal sind die Weihnachtsmänner auch Seelentröster. Bei den telefonischen Vorbestellungen Wochen vor dem Fest komme es schon vor, daß „sehr persönliche, fast intime Gespräche“ geführt werden, so Bernhard. Er erklärt sich das Offenbaren gegenüber einem wildfremden Menschen damit, daß dieser eine vertraute Figur verkörpert.

Mit der steigenden Zahl der Geschenke wird das Weihnachtsfest auch immer mehr von der Technik beherrscht. Nicht selten werden Bernhard und Michael von 500-Watt-Scheinwerfern geblendet und aufgefordert, die eine oder andere Szene für das Homevideo zu wiederholen. Ganz zu schweigen von den Nachfragen nach dem Gesicht hinter der Maske. Aber da bleibt Bernhard hart: „Ich komme als Weihnachtsmann und nichts anderes.“