Adieu, mein kleines Paradies

Einst militärisches Sperrgebiet, erfüllt die thailändische Insel Chang vor der Küste Kambodschas noch Globetrotter-Träume. Noch!  ■ Von Christian Schleuning

Eigentlich gibt es sie nicht mehr – die Trauminseln. Alle sind sie entdeckt oder die Tourismusindustrie hat sie längst im Programm. Aber immer wieder taucht so ein verlorenes Paradies auf der Landkarte auf. Wir haben es gesehen! Fast einsam schlummert es bis heute im thailändischen Meer. Es ist die Insel Chang, auch „Elefanteninsel“ genannt. Langgestreckt und bis zu 750 Meter hoch. Hier wächst noch unzerstörter, faszinierender, grüner Regenwald. Affen leben hier, die bis zu vier Meter lange Python und der Nashornvogel.

Im Hafen Laem-Ngop buche ich eine Überfahrt zum Eiland mit dem klingenden Namen „Weißer Sandstrand“. Der Hafen ist der Ausgangspunkt zur Insel Chang – oder zu einer der kleineren Inseln des sogenannten Marine Parks. Für die Abfahrtszeiten gibt es keinen Fahrplan. Das Boot verläßt den Hafen, wenn es voll ist. Während der Wartezeit in der Nähe des Hafens werden Geschichten ausgetauscht über Erlebnisse in Vietnam, über Reisen auf dem großen Mekong-Fluß, über China-Reisen auf den gefährlichen Pässen hinauf in den Himalaja. Ich mache hier Urlaubsbekanntschaften, die mit denen von rundum versorgten Pauschaltouristen nichts gemein haben. Schließlich wird unser Boot, dieser umgebaute Fischkutter, voll. Extrem voll. „Wie bei den Boat People“, lacht einer. Wir fahren los. Der Kapitän manövriert uns geschickt um ein Felseneiland herum. Und schon bald breitet sich ein langer, traumhafter Sandstrand vor uns aus. Ein Longtail-Boot legt sich quer zu unserem. Wir steigen um und werden zum Ufer gebracht. Einen Landesteg gibt es hier nicht. Das letzte Stück müssen wir durchs Meer waten.

Selbst in renommierten Reiseführern wird Chang nur als zivilisationsferne Dschungelinsel beschrieben. Ohne Straßen, ohne elektrisches Licht, ohne fließendes Wasser, ohne Geldwechselmöglichkeiten. Außerdem wird gewarnt, daß die Insel, wie ihre viel bekanntere nordwestliche Schwester Ko Samet, ein Malariagebiet sei. Vielleicht gerade deshalb zieht sie die Globetrotter an, und daher gibt es auch eine bescheidene touristische Infrastruktur: Robinson- Hütten zwischen 7 und 15 Mark. Das Meer ist glasklar, Autos, Diskomusik, Nightclubs und der übliche „Zivilisationslärm“ gehören der Zukunft. Hier herrscht noch „Globetrotter-Romantik“ bei Lagerfeuer mit Gitarrenmusik und Petroleumlampen in den Hütten.

Chang lag lange im Dornröschenschlaf. Bedingt durch ihre geographische Lage nahe den revolutionsgeschüttelten Kambodscha und Vietnam, war die Insel militärisches Sperrgebiet. Bis 1985. Dann wurden sie und weitere 51 kleinere Nachbarinseln zum „National Marine Park“ erklärt. „Er ist eingerichtet, um die Natur und die unberührte Schönheit der Inseln zu schützen“, heißt es in einer amtlichen Broschüre. Aber nun wollen viele Prinzen das Dornröschen wachküssen. Zum Beispiel der 50jährige Berliner Harald. Seit zehn Jahren lebt er in Thailand und hat mit Geld, aber vor allem viel Mühe das „Paloma-Cliff Resort“ auf Ko Chang gebaut. Es sind 16 bescheidene Hütten, doch immerhin mit europäischen Toiletten und Ventilatoren ausgestattet. „Wenn man die Entwicklung schon nicht aufhalten kann“, meint er, „so soll man doch wenigstens daran verdienen.“ Harald ist nur der schlichte Anfang einer Entwicklung. „Wenn erst mal die Elektrizität kommt, dann ist es mit der Idylle aus“, prophezeit mein Hüttennachbar, ein Kanadier, der mit einer Thailänderin verheiratet ist. Die „Investoren“ lauern. Das Unterwasser-Elektrokabel ist geplant, Autofähren zur Insel und der Bau von Straßen sind in Auftrag gegeben. Einer der mächtigsten Konzerne Thailands, das Rooks-Unternehmen, hat Grundstücke aufgekauft und baut die ersten Luxusunterkünfte. Hotelketten wie „Holiday Inn“ und das Luxus-„Oriental“-Hotel von Bangkok haben bereits ihr Eigentum auf der Insel abgesteckt. Die Bodenpreise explodieren, und das Land ist reines Spekulationsobjekt. Denn diese Insel rückt unweigerlich ins Zentrum des Tourismus, spätestens dann, wenn die geplante Autobahn von Bangkok nach Saigon gebaut wird.

Die Globetrotter, mit ihrem Hang zum naturbelassenen Idyll, müssen dann eben wieder gehen und weitersuchen. Denn: So unvermutet die paradiesischen Eilande auftauchen, so schnell sind sie wieder verloren.