„Hier herrscht eine faktische Apartheid“

■ Interview mit Comandante Gaspar Ilom von der guatemaltekischen URNG-Guerilla

taz: Nach Unterzeichnung des Menschenrechtsabkommens im März hieß es, der Friedensvertrag zwischen Guerilla und Regierung könne noch dieses Jahr unterzeichnet werden. Das scheint mittlerweile ausgeschlossen. Beide Seiten verhandeln zäh, zugleich kommt es immer wieder zu Gefechten. Warum die Verzögerung?

Gaspar Ilom: Das Menschenrechtsabkommen sollte ab April in Kraft treten und auch sofort international überwacht werden. Aber die Regierung hat keinerlei Signale in diese Richtung gegeben, sondern im Gegenteil eine Terrorkampagne gegen die Bevölkerung und die Volksbewegung gestartet. Die URNG entschied sich daraufhin im August, die Gespräche abzubrechen. Als die Vereinten Nationen dann schließlich eine Verifizierungskommission eingesetzt haben, haben wir den Prozeß am 20. Oktober wiederaufgenommen.

Das aktuelle Thema ist ja die sogenannte „Indianerfrage“. Was wollen Sie erreichen?

Es gibt hier eine faktische Apartheid, die noch viel schlimmer ist als eine rechtliche Apartheid. Im günstigsten Falle wird davon ausgegangen, daß es die Maya- Kultur schon lange nicht mehr gibt. Das stimmt natürlich nicht – die Kultur lebt. Guatemala ist eine multikulturelle und mehrsprachige Nation, und das soll auch in der Verfassung verankert werden.

In der Führung der URNG gibt es keine Indianer ...

In der Generalkommandantur sind wir ja nur vier Personen. Fünfundsiebzig bis achtzig Prozent unserer Kämpfer und auch der militärischen Führer sind indianischer Abstammung. Ich glaube, wir sind legitime Vertreter der Maya-Interessen, und das Volk sieht das genauso. Es sind eher die Intellektuellen oder die Solidaritätsbewegungen, die sich darüber den Kopf zerbrechen.

Nun ist die sogenannte ethnische Frage ja keine traditionelle Priorität linker Bewegungen ...

Innerhalb der revolutionären Bewegung gab es vor über zwanzig Jahren eine starke ideologische Auseinandersetzung über das Thema, und ab dann hat sich nach und nach das Bewußtsein entwickelt, daß das in Guatemala der zentrale Punkt ist. Ich selbst habe darüber zwei Bücher geschrieben, in denen mit dem ganzen marxistischen Schema gebrochen wurde. Vor fünfundzwanzig Jahren war es ja noch enorm ketzerisch, über irgend etwas anderes als den Klassenkampf zu sprechen.

Nach über dreißig Jahren Bürgerkrieg, ein paar Jahren schleppender Verhandlungen und anhaltender Repression: Was ist Ihre Bilanz? Hat sich der Kampf gelohnt?

Natürlich hat es sich gelohnt – vielleicht nicht für die unmittelbare Zukunft, aber in dem Sinne, daß wir einer neuen Generation die Möglichkeit zu einem anderen Land hinterlassen. Vor kurzem hat jemand in Europa zu mir gesagt: „Wie ist es möglich, einen Krieg zu machen für die Errungenschaften der Französischen Revolution?“ Und ich habe ihm geantwortet, wir brauchen den Krieg, um die Demokratie zu erreichen. Nachdem 1954 der einzige demokratische Prozeß in Guatemala durch die Intervention unterbrochen wurde – und nach der Ausschöpfung aller anderen Wege – blieben nur noch die Waffen zur Selbstverteidigung des Volkes. Der bewaffnete Widerstand der 60er Jahre wurde in den letzten zwölf oder dreizehn Jahren dann zu einem richtigen Krieg. Und dieser hat bis heute verhindert, daß das Counterinsurgency-Modell zur Niederschlagung des Widerstands sich konsolidieren konnte.

Es geht also nicht mehr um Revolution, sondern „nur“ noch um Demokratie ...

Aber für Guatemala ist genau das revolutionär.

Was sind Ihre Vorstellungen von einem möglichen „Danach“ – über die verbreitete Kritik am Neoliberalismus hinaus – für den Wiederaufbau ihres Landes?

Es gibt im Unternehmerlager Sektoren, für die der Neoliberalismus nicht unbedingt eine Lösung ist, wegen seiner enormen sozialen Kosten und der Gefahren für die Stabilität. Zusammen mit diesen Unternehmern suchen wir nach Entwicklungsmöglichkeiten, die das Soziale miteinschließen. Ich denke, daß es viel konsequenter ist, etwas Konkretes für das Volk zu erreichen, als sich in Seufzen und Sehnen nach einem Sozialismus zu ergehen, der zudem bewiesen hat, daß er nicht funktioniert. Wir akzeptieren die Alternative „Sozialismus oder Neoliberalismus“ nicht.

Comandante, wie schwierig ist es, nach über drei Jahrzehnten Krieg aus der militärischen Logik auszusteigen? Sehen Sie die Gefahr, daß die Logik des Krieges sich in den Menschen verselbständigt, daß auch das Denken sich militarisiert haben könnte?

Clausewitz hat doch gesagt, Krieg ist die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln. Wenn du den Krieg als politischer Kämpfer machst und dabei den spezifischen Gesetzen des Krieges gehorchen mußt, heißt das nicht, daß dein Denken sich militarisiert hat, sondern daß du den politischen Kampf mit militärischen Mitteln geführt hast. Du kannst daran niemals Gefallen finden: du führst Krieg, und Krieg ist schrecklich. Fragen: Anne Huffschmid