Sanssouci: Vorschlag
■ Berliner Kammeroper zeigt das barocke Pasticcio „Venus und Adonis“ im Theater am Halleschen Ufer
Er, groß, kräftig, sterblich, genannt Adonis, sucht die Jagd, tändelt nicht gerne. Sie, schlank, idealbemaßt, göttlich, heißt Venus, lebt einzig der Liebe, verachtet alle anderen Tätigkeiten. Sie sind die Schönsten der Schönsten, doch bringt das, zur Schadenfreude Minderbegünstigter, entsprechende Probleme mit sich. Die Story ist schnell erzählt: Adonis, die holde Frucht eines frevelhaften Inzests (Tochter verführt Vater), wird aufgrund eines Unfalls (verirrter Liebespfeil) von der Liebesgöttin Venus nicht einfach nur begehrt, sondern nachgerade geliebt. Mit den Waffen der Frauen und den Tricks der Götter kriegt sie den anfangs sich Sträubenden schließlich rum. Mars, der Kriegsgott, Ex- und Gelegenheitslover von Venus, sieht das nicht gerne und verwandelt sich, seinem Charakter gemäß, in einen Keiler (das ist ein wütendes, mit schröcklichen Zähnen bewehrtes Wildschwein) und tötet den Schönen bei der Jagd durch einen Biß in den Oberschenkel. Venus heult, ihre Tränen mischen sich mit dem Blut des Geliebten, woraufhin Röschen aus dessen frischen Wunden wachsen. Alles wie im wirklichen Leben.
Obwohl unter den Traumpaaren der lateinischen Antike für unsere beziehungskistenreiche Gegenwart Amor & Psyche maßgeblich geworden sind, wären Venus & Adonis eigentlich ideales Leitbild für den von der Werbung heftig propagierten Lifestyle. Schöne Körper, aktive Freizeit, hemmungsloser Genuß – das sind Themen, das könnte man ausschlachten. Der Regisseur Henry Akina geht den entgegengesetzten Weg. Er entpersonifiziert die Figuren. Es stehen ihm drei Sängerinnen zur Verfügung, er läßt jede alles spielen. Die Rollen, das sind die Hüllen: Adonis ist ein erdfarbener Jagdmantel, und wer ihn trägt, ist Adonis. Venus, die Meerschaumgeborene, ist ein wasserfarbener wallender Umhang, und wer ihn trägt, leidet Liebe. Cupido, das ist ein goldenes Flügelpaar und ein Bogen mit liebesgiftigem Pfeil, wer ihn abschießt, stiftet Unheil. So eröffnet sich der Reigen schönster Rollenspiele. Und so girren, seufzen, dröhnen Regine Gebhard, Lori McCann und Linda Pavelka in weithinschweifenden Arien, in selig-lüsternen Duetten, wo sich die musikalischen Glieder in Terzen und Sexten verschlingen (würde man es darstellen, wäre es nicht jugendfrei), mal als dieser, mal als jene. Hinzu gesellt sich die Schauspielerin Carola Bambas – sie ist Erzählerin des Undarstellbaren, ist Schicksalsorakel, ist Reporterin der sportlichsten Kußszene des Altertums –, die mit eindrücklicher Stimme und überquellendem Gebärdenreichtum zusammenbindet, was nie zusammengehörte, denn: die Oper ist gar keine.
Sie ist ein Pasticcio, eine Pastete. Montiert aus längst vergessenen Opern, Maskenspielen und Serenaden des Barocks, komponiert von den Engländern John Blow, Johann Christoph Pepusch, dem Franzosen Henri Desmartes, dem Deutschen Reinhard Keiser und dem Italiener Alessandro Scarlatti, gesungen in der jeweiligen Landessprache. Eingehüllt durch Texte von Sappho, Ovid, Shakespeare. Kleinster gemeinsamer Nenner: Venus und Adonis. Solche nicht einmal sonderlich disparaten Bausteine zu einem facettenreichen neuen Ganzen zusammenzuschmieden entspricht historischer Praxis. Zwischen 1680 und 1720 beherrschte der italienische Stil die europäischen Opern in so hohem Grade, daß bei der Montage ein Stilbruch kaum zu befürchten war. Voll kompatibel. Gesucht, gefunden und transkribiert wurde die Musik von Scott Curry, der auch die Aufführungen vom Cembalo aus leitet. Ein Streichquartett, eine Blockflöte, ein Cembalo, das genügt für eine Kammeroper. Allerdings verlangen die selbstbeschränkten Mittel nach Klangphantasie im Detail. Wann und wann nicht und welcher Art begleitet das Continuo, um den Gesang zu stützen, aber nicht zu verdecken, um dem zarten Schmerz der Flauto dolce den kleinen Raum zu gewähren, den sie braucht, um die großen Gefühle zu wecken (was dem Süßholzbläser Martin Ripper ausgezeichnet gelingt)? Solche Fragen verlangen Antworten, die nicht auf Blendwerk bauen können – sie zu finden gehört zu den Tugenden der Reduktion.
Regine Gebhard und Carola Bambas Foto: Thomas Aurin
Reduktion greift überall. Ökonomie der Mittel sorgt für eine transparente Bühne (Stephan Besson), wo die wenigen Elemente und das klug eingesetzte Licht die Figurenkonfiguration ordnend und bekräftigend ins Bild setzt. Und ist dabei doch so farbig, daß die Gruppen und Posen zu stets neuen Gemälden kristallisieren, in denen jedes Detail, jede Fingerhaltung zur erläuternden Geste aufgewertet wird. Nun ist das Ganze aber keine todernste oder nur liebesselige Angelegenheit. Witz bricht sich immer wieder Bahn, gerade dann, wenn die Sehnsüchte allzu selbstversunken, die Schwüre allzu breit angelegt, die Liebenden allzu selbstvergessen, kurzum, die Arien allzu weitschweifig zu werden drohen. Barocke Opern sind immer Meditationen. Diesmal über die seltsamste Sache der Welt. Frank Hilberg
Noch von 28. bis 30.12., 20 Uhr, Theater am Halleschen Ufer.
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