Sanssouci: Nachschlag
■ Buchfreie Zonen, Busfahrten und andere Ärgernisse
Kürzlich rief eine sehr nette, sehr freundliche Redakteurin an und schlug mir vor, doch mal aufzuschreiben, was mich in puncto Berliner Kultur freut oder ärgert. An diesem Tag hing ich gerade kraftlosen Jahresendzeitgrübeleien nach, und vielleicht lag es daran, daß mir nur Ärgerliches einfiel. Angefangen beim unverschämt unpünktlichen Beginn von Konzerten und endend bei mangelhaften Rauchabzügen in Clubs und Kneipen. Aber so was Globales stand ja schon mal im zitty. Ich beschloß, mich auf der eher lokalen Ebene zu ärgern.
Also wanderte ich „meine Straße“ (Baumschulen-) hinauf und erhob eine weihnachtliche Ladenzählung, um meinem lokal- kulturellen Ärger seine statistische Berechtigung zu verleihen. Es gab von allen Geschäften gleich drei oder vier Dependancen. Ich passierte auf einer Strecke von geschätzten 800 Metern unter anderem vier Schuhläden, vier Videotheken, drei Optiker (!), vier Schreibwarenläden, drei – ausgesprochen prunkvolle – Apotheken, zwei Fotofachgeschäfte, zwei Supermärkte, sechs Blumenmärkte (!!), drei bessere Damenausstatter, einen mittelprächtigen Herrenausstatter und fünf Bushaltestellen.
Keine noch so winzige Buchhandlung, kein noch so klitzekleines Antiquariat kann hier offenbar die Miete erwirtschaften. Der dichtbesiedelte und hinreichend belebte Baumschulenweg ist seit vier Jahren eine buchfreie Zone. Das ärgert mich. Wenn ich ein Buch kaufen möchte, muß ich zuvor halbstündige Busfahrten gen Westen oder Süden antreten. Das ärgert mich fast noch mehr, denn Busfahren in Berlin beschert einem das Erlebnis permanenter Mißachtung von kulturellen Geboten – als da sind Höflichkeit oder Freundlichkeit.
Auch das stand vermutlich schon mal im zitty, und wenn schon, ich kann es nicht oft genug wiederholen: Wer in Berlin Bus fährt, tut dies mit Gefahr für Leib und Seele. Mich ärgern jene boshaften Rentner, die von der jüngeren Mitwelt Rücksicht und Hilfe erwarten, aber aus ihrem Alter rätselhafterweise ein logisches Recht zur Gewalttätigkeit ableiten. Sie fuchteln beim Einstieg militant mit ihren Stöcken und trampeln die Busfahrgemeinschaft fast zu Tode, um Sitzplätze zu ergattern, die man ihnen sowieso angeboten hätte.
Mich ärgern Leute wie neulich die im Bus 241 (Kreuzberg– Treptow), die an der Haltestelle Blücherstraße hämisch auf eine Frau mit drei Kindern zeigten und dabei tadelten: „Guck mal, die hat DREI Kinder!“, ganz so, als hätte die Frau drei riesige, eklige, eitrige, deutlich sichtbare Pickel. Der Kinderwagen der Frau hat nicht mehr in den Bus gepaßt, und die werten Fahrgäste haben sich deswegen gefreut wie über eine verdiente Strafe. In Kreuzberg und Neukölln gibt es vielleicht mehr Buchläden als in Treptow, aber so was wäre in Treptow nicht passiert.
Ja, mich ärgern die kleinen Gehässigkeiten und coolen Unhöflichkeiten, und ich höre schon die Stimmen, die da sagen: „Dann werde doch Pastorin und zieh in die Provinz, du blöde Kuh!“ Aber das werde ich nicht tun, denn erstens bin ich stur, und zweitens kann ich auf dem Dorf erst recht keine Bücher mehr kaufen. Anke Westphal
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