Fingerrillenzählen im Dienst der Forschung Von Andrea Böhm

Man muß schon einen besonderen Wissensdurst haben, um im Dienst der Forschung Fingerabdrücke zu nehmen – und dann die Rillen zu zählen. Zwei kanadische Verhaltensforscher, Doreen Kimura und Jeff Hall, haben diese Sisyphusarbeit absolviert und die Fingerlinien von 66 schwulen und 182 Hetero- Männern gezählt. Weil nun mehr Schwule als Heteros ausgeprägtere Rillen auf der linken Hand aufwiesen, und diese genetisch angelegt sind, meinen die beiden Genies, einen weiteren Beweis für die biologische Determinierung von Homosexualität gefunden zu haben. Diese wissenschaftliche Meisterleistung wurde unlängst mit dem branchenüblichen Ritual, dem Abdruck in einer medizinischen Fachzeitschrift, gewürdigt.

„Wow“, spricht da der Laie, inspiziert die eigenen Fingerspitzen und fragt sich, ob mann in der Vergangenheit in Mißachtung der biologischen Bestimmung mit dem falschen Geschlecht angebandelt hat. Vielleicht liegt es bei den Heteros auch an der Hörschwäche, die Kimura und Hall in ihrer Studie festgestellt haben. Demnach lauschen überdurchschnittlich viele Schwule mit beiden Ohren gleich gut, während das Gehirn von Heteros von linker Seite mit akustischen Reizen schlechter versorgt wird als von rechter Seite. Von Frauen ist in der Studie übrigens überhaupt nicht die Rede. Entweder gibt es im dünn besiedelten Kanada nicht genügend Heteras und Lesben – oder sie haben alle rillenlose Finger.

Nun könnte jedermann und jederfrau eigentlich egal sein, was und wieviel die Gene mit dem Liebesleben zu tun haben – vorausgesetzt, die Gesellschaft würde nicht einen solchen Zirkus darum machen. Jedenfalls kamen die kanadischen Rillenzähler gerade recht, um dem allmächtigen amerikanischen Ärzteverband, der American Medical Association (AMA), unter die Arme zu greifen. Die AMA nahm Anfang diesen Monats – als Weihnachtsgeschenk an den Fortschritt – endlich davon Abstand, Homosexualität als heilbare Fehlorientierung darzustellen. Bislang hatte die AMA Programme unterstützt, die schwule Patienten mit der „Möglichkeit der Umkehr ihrer sexuellen Präferenz“ vertraut machen sollten – auch wenn die lediglich ihre Migräne oder den Meniskus untersucht haben wollten.

Das verbittert nun ganz fürchterlich die National Association for the Research and Therapy of Homosexuality, deren Mitglieder ihr Fachwissen und ihr unerschöpfliches Bedürfnis, zu heilen und Schmerzen zu lindern, voll und ganz auf die Bekämpfung der Homosexualität konzentrieren. Zu den angewandten Methoden gehört unter anderem die „Aversions-Therapie“, bei der Schwulen mit „unangenehmen Stimuli“ wie Elektroschocks die Lust am Mann abtrainiert werden soll. So etwas fällt eigentlich unter den Tatbestand der Körperverletzung. Doch die homophobe Medizinertruppe sieht das natürlich ganz anders und beschwert sich, daß die „politische Entscheidung“ der AMA nun sie und ihre Sympathisanten dazu zwinge, alle Patienten – auch Schwule – umstandslos, aber mit Anstand, zu behandeln. Einfach so. Um nicht zu sagen: Unverdünnt hippokratisch. Für Uneinsichtige könnte die AMA Abstrafung in Form niederer Laborarbeiten androhen: Fingerrillen zählen in Kanada.