Ohne deutschen Paß zur Polizei

Ein Modellprojekt im Land Brandenburg / Zehn Prozent der Auszubildenden bei der Polizei sind in diesem Jahr Kinder von Einwanderern / Andrang von türkischen Berlinern  ■ Aus Basdorf Jeannette Goddar

„Eine Gratwanderung?“ Ein kurzer verunsicherter Blick, wieso? Dann ein halb resigniertes, halb optimistisches Lächeln. „Ich will nicht mit dem Schlagstock auf meine Landsleute losgehen. Aber das stelle ich mir auch nicht unter dem Beruf vor.“ Der 29jährige Mehmet kommt aus Ostanatolien, hat in der Türkei eine Kaufmannsausbildung absolviert, in Berlin ein Elektrotechnikstudium angefangen und abgebrochen. Jetzt ist er in eine Uniform geschlüpft, von der er noch nicht so recht weiß, wie sie eines Tages sitzen wird: Am 4. Oktober hat Mehmet als einer von 38 Ausländern in Brandenburg eine Ausbildung für den Polizeidienst begonnen. Sicher keine sensationelle Ausbildung, aber eine kleine Sensation innerhalb des deutschen Polizeiapparates.

Früher, als in Basdorf nördlich von Berlin noch die Nationale Volksarmee probte, war das Gelände für alle gesperrt. Heute geben sich in der Landespolizeischule Brandenburg Journalisten die Klinke in die Hand und begutachten, analysieren und kommentieren etwas, was in anderen Ländern eine Banalität ist. Zehn Prozent der Auszubildenden sind in diesem Jahr Ausländer oder Eingebürgerte mit ausländischer Muttersprache. Damit nimmt Brandenburg eine Vorreiterrolle in Deutschland ein.

Jahrzehntelang war Ausländern – wegen des deutschen Beamtenrechts – der Weg in die Polizei verwehrt. Erst vor kurzem haben einige Bundesländer mit einer Änderung des Landesbeamtengesetzes den Zugang ermöglicht. „Der Minister des Inneren kann für einen Bewerber eine Ausnahme ... zulassen, wenn ein dringendes dienstliches Bedürfnis besteht, ihn als Beamten zu gewinnen“, wurde in Brandenburg an den Absatz gefügt, der die deutsche Staatsangehörigkeit zur Bedingung für eine Verbeamtung macht.

Dieses „dringende dienstliche Bedürfnis“ besteht. „Wir haben eine 256 Kilometer lange Grenze mit Polen“, erklärt Michael Rossow, Pressesprecher der Polizeischule. „Alleine 160.000 polnische Touristen kommen jeden Tag nach Frankfurt/Oder.“ Doch nicht nur im Alltagsleben, sondern auch wegen der grenzübergreifenden Kriminalität sei der Einsatz einer internationaleren Polizei sinnvoll. Den Vorbehalt, Ausländer und damit Muttersprachler zu Undercover-Agenten heranzuzüchten und auf ihre Landsleute loszulassen, weist Rossow weit von sich.

Statt dessen verweist er auf den multikulturellen Aspekt der Integration der Ausländer, die aus der Türkei, Osteuropa, den Philippinen, Panama und den Niederlanden in den Polizeibetrieb kommen. Tatsächlich hatte Brandenburgs Innenminister Alwin Ziel (SPD), der maßgeblich am Zustandekommen des Modellversuchs beteiligt war, allen Grund das Image seiner Polizei aufzupolieren.

Die Landespolizeischule in Basdorf geriet im März 1993 wegen rechtsradikaler Umtriebe in die Medien. In Rüdersdorf konnten sich im vergangenen Sommer 900 Rechtsextreme zu einem verbotenen Konzert versammeln, während etwa einhundert Polizisten tatenlos zusahen. In Bernau wurden wenig später sieben Polizisten wegen des Verdachts der Mißhandlung von Vietnamesen vom Dienst suspendiert.

Was für andere leicht ein Grund zur Abschreckung sein könnte, hat Mehmet gerade gereizt: „Ich bin ein Bürger wie jeder andere auch. Warum soll ich mich nicht genauso beteiligen? Ich habe auch eine Aufgabe in dieser Gesellschaft.“ Das heißt für ihn, sich für seine Landsleute einzusetzendie, genau wie er, – Mehmet kam erst mit 21 Jahren nach Deutschland – festgestellt haben, daß ihre Heimat keine mehr ist. „Guck' dir doch mal die vierzehn- bis achtzehnjährigen Türken in Berlin an, was die für Probleme haben. Irgendwer muß sich doch um sie kümmern.“ Mehmet glaubt, daß er einen Schritt gemacht habe, der vielen verwehrt bleiben wird: Denn „wir leben in einer gespaltenen Gesellschaft.“

Das bekam auch die Leitung der Schule zu spüren: Kurz nach der Eröffnung, nach den ersten Radioberichten und Zeitungsmeldungen klingelte in Basdorf schon das Telefon: „Ausländer raus aus der Brandenburger Polizei.“ Eine Frau aus West-Berlin nölte wenig später in den Hörer, daß sie sich auf keinen Fall von ausländischen Polizisten kontrollieren lassen werde.

Zumindest in ihrer kleinen Welt von Basdorf, wo die meisten Schüler während der Woche im Internat leben, haben die angehenden Polizisten von Spaltung noch nicht viel gemerkt. Der Kontakt mit den anderen Azubis funktioniere reibungslos, erklärte die Schulleitung. Natürlich habe er sich seine Gedanken über Rassismus in der Polizei gemacht, erzählt der 23jährige Erkan aus Berlin. „Aber ich habe auch vorher schon festgestellt, daß die überwiegende Masse nicht rechtsextrem ist.“

Dieses seinen türkischen Freunden beizubringen, ist aber schwierig. „Die meisten haben schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht“, bestätigt Erkan. Ob er irre sei, zur deutschen Polizei zu gehen, werde er immer wieder gefragt. „Wenn du dann Türken auf der Straße triffst, mußt du die festnehmen“, sagen sie. Erkan, dem der Glaube an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit förmlich ins Gesicht geschrieben steht, kann über derartige Vorurteile nur lachen. „Dann sag ich immer, wir sind hier nicht in der Türkei. Leute können hier nicht einfach so abgeführt werden.“

Auch türkische Medien zeigen großes Interesse an der Ausbildung ihrer Landsleute in Basdorf. Als die Tageszeitung Hürriyet von dem Modellprojekt berichtete, liefen wenige Tage später ganze Stapel von Bewerbungen türkischer Berliner ein. „Politisch ist das wichtig“, findet Mehmet, dann „fühlen sich die Berliner Türken mehr beteiligt“. Seine Landsleute sollen sich ins politische Leben Deutschlands einmischen, findet er und streitet dafür. Auch wenn seine eigenen Einflußmöglichkeiten begrenzt sind. „Ich wäre lieber Politiker als Polizist geworden.“ Jeannette Goddar