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Ausziehen, ja bitte. Und zwar subito!

■ Eine Mutter fordert altersgerechte Wohngemeinschaften für Postadoleszenten und ein Runterschrauben der Komfortansprüche: „Gehet hin und suchet!“

Ausziehen, ja bitte. Und subito! Auf eine Familien-WG habe ich keine Lust, es ist nämlich keine, sondern ein Hotel zum Nulltarif. Ihr möchtet kommen und gehen, wie es Euch paßt, Unabhängigkeit heißt Euer Stichwort. Es ist die Unabhängigkeit von irgendwelchen Pflichten, und wenn sie auch nur heißt, den Kühlschrank mal zu füllen. Ihr redet ständig von der funktionierenden Arbeitsteilung, die Wahrheit ist, Ihr teilt, ich arbeite. Selbstverständlich bringt Ihr den Müll runter, führt den Hund um die Ecke und wascht Eure Teetassen selber. Aber immer nur, wenn ich Euch erinnere, und das habe ich satt.

Ihr schiebt mich permanent in die Mutterrolle, aber redet mit mir, als ob Ihr meine Sozialarbeiter seid. Unser Verhältnis ist nicht gleichberechtigt, denn ich bezahle die Wohnung, das Essen, überweise Strom, Gas und organisiere den Fensterputzer. Ihr werft Eure Dessous und Socken in meinen Wäschekorb und beklagt Euch später, daß ich sie mal wieder zu heiß gewaschen habe. Oder zu kalt. Und natürlich findet Ihr meine Pullover die „allergeilsten“, und na klar stehen sie Euch viel besser. Ihr macht mich häßlich.

Ich möchte Euch oft sehen, aber nur wenn wir verabredet sind. Denn Zeit für mich/uns habt Ihr nur, wenn sonst nichts anderes auf der Tagesordnung steht. Ich bin doch nicht Eure Manövriermasse. Und die Selbstverständlichkeit, mit der Ihr nach einem langen Abend mit Freunden ausschlaft, während ich zur Arbeit hetze, ärgert mich. Eure Sprüche, ich solle doch mal „relaxen“, „abcoolen“, kommen aus der Hängematte, die ich Euch aufgehängt habe.

Ihr macht es zu einem persönlichen Defekt, wenn ich meine Berufstätigkeit (die Eure Existenz sichert) nicht so locker angehe wie Ihr Eure Termine. Was Ihr als Liberalität einfordert, ist nichts anderes als Euer Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden. Ihr seid nicht pflegeleicht, sondern bequem, und das ist ein großer Unterschied. Ihr haltet Euch für anpassungsfähig und empfindet dies als Tugend. In Wahrheit seid Ihr unsozial, denn Ihr nutzt mich aus. Nämlich meine Liebe zu Euch. Kontroversen geht Ihr aus dem Weg, denn sie sind für Euch intellektuell nicht interessant genug. Aber vor allem erschweren sie Euren Alltag, am dem das Wichtigste zu sein scheint, daß er reibungslos funktioniert. Funktioniert!

Eure Musik, Eure Freunde stören mich nicht, im Gegenteil! Aber ihre belanglosen Höflichkeiten, wenn sie mich auf dem Weg ins Badezimmer treffen, ersetzen nicht das, was ich mir wünsche. Nämlich Interesse füreinander. Für Euch muß alles „easy“ sein, was zählt, ist das Machbare. Ihr seid nicht jung und übermütig, sondern nur schrecklich vernünftig. Kafka ist für Euch ein Verrückter, und beim Wort „rabbit“ fällt Euch Knoblauch in Weinsoße ein und nicht John Updike. Und das für mich Irritierendste: Entwicklungspsychologische Erkenntnisse, daß zur Erwachsenwerdung die Unabhängigkeit vom Elternhaus gehört, haltet Ihr für kalten Kaffee. Statt im Ausland Sprachen zu lernen, guckt Ihr Euch „Forrest Gump“ an. Und wenn Ihr nach Paris, London, New York oder Moskau fahrt, ist Euch die Rückfahrkarte am wichtigsten. Die Welt wird immer größer und Euer Horizont immer kleiner.

All das will ich nicht weiter subventionieren. Sucht Euch eine altersgerechte Wohngemeinschaft oder sonst was, und schraubt vor allem Eure Komfortansprüche runter. Das dürfte Euch am schwersten fallen, denn Komfort ist ja für Euch das Wichtigste. Solange ihr Euch in der Ausbildung befindet, ist die Finanzierung eines selbstorganisierten Lebens kein Geschenk, sondern Euer Recht. Sozusagen der Ablösungspreis, Geschirrspülmaschine ausgeschlossen. Drum gehet hin und suchet, und verpennt nicht schon wieder die Wohnungsanzeigen in der Morgenzeitung. Anita Kugler

P.S. Die Haschischpflanzen kommen auf den Balkon. Sollen sie doch erfrieren! Der Hund bleibt bei mir, der soll es besser haben.

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