Postexpensive Rechenwerksepoche

Beim 11. Kongreß des Chaos Computer Club in Berlin treffen sich Hacker aus ganz Deutschland / Drei Tage lang philosophieren sie über so spannende Probleme wie „Die HWWT-Seiten des Phil-but“  ■ Von Peter Lerch

„Chaos Dienst“, „Projektleitung“, „Presse“, „Post“ und „Staatsschutz“ steht auf der Computergrafik, mit der die Beschriftung der Teilnehmerausweise festgelegt wird. Die Hacker vom Chaos Computer Club sind ganz besonders gründlich: Jeder kriegt ein Kongreß-Teilnehmerkärtchen mit Foto. Dementsprechend lang ist die Schlange der Computerfreaks, die geduldig an der Kasse ausharren.

Zeit genug, den Kassierer zu fragen, ob sich die Staatsschützer gewohnheitsmäßig zu erkennen geben. „Nö, die erkennen wir“, behauptet Conny, der Kassenwart, während er mir die eingeschweißte, mit einem Clip versehene Eintrittskarte rüberreicht.

Auf drei Etagen der ehemaligen Kunsthalle in der Budapester Straße stehen vergeistigte Typen mit abwesenden Blicken in der Gegend herum, deren Gedanken in erster Linie abstrakten, dem Normalverbraucher kaum nachvollziehbaren Problemen zu gelten scheinen. Viele von ihnen tragen Brillen, vielleicht, weil sie zu viel auf Monitore starren?

Unter dem Motto „Verteilte Softwareentwicklung auf Netzen“, oder „LINUX für Anfänger“ finden auf allen Etagen Workshops statt. In der Aula in der zweiten Etage hält einer einen Vortrag über „World-Wide-Web“, wobei er die Frage aufwirft, ob die grafische Schnittstelle zum Internet dem Otto Normalbenutzer riesige Datenmengen zu leicht zugänglich macht. „Die Physik hat in diesem Jahrhundert zwei positive Dinge hervorgebracht“, doziert er. „Das eine ist die Atombombe, das andere der Transistor...“, wende ich mich ab, während er weiterdoziert.

Auch im Workshop zwei, wo die Computerfreunde geistig nach neuen Konzepten fahnden, lachen sie über Sachen, die ich als Laie überhaupt nicht verstehe. Interessanter scheint das Hackercenter zu sein, wo zwei Kerle ihre Laptops vor sich hertragen als wären es Babys. Die anderen an den im Quadrat aufgestellten Tischen hocken offensichtlich schon länger vor ihren Monitoren, wo sie, auf den Zungen herumkauend, mit verkniffenen Mienen endlose Datenreihen über die Bildschirme wandern lassen.

Bernhard W. von der Freien Universität, Abteilung Informationswissenschaft, erklärt, daß hacken die kreative Lösung eines Problemes sei. Na bitte. Meine Vorstellung von Hackern als fanatische Bleichgesichter, die tagein, tagaus versuchen, in die Computeranlagen der diversen Geldinstitute einzuloggen, um dann mittels entsprechender Manipulationen die Miesen auf dem eigenen Konto auszumerzen, wird sofort korrigiert. Diese Spezies, so Bernhard, seien Cracker oder auch sogenannte Phreaks – ein Begriff, der sich von Phone und Freaks herleitet. Cracker seien Kollegen, die entweder harmlose Programme mit Computerviren vernichten oder durch geschickte Manipulationen auf Kosten der alten Dame von nebenan Sextelefonate unter einer Nummer auf den Niederländischen Antillen führten.

Mit solchen Bösewichtern habe ein Hacker nichts gemein. „Hacker haben eine Ethik“, erklärt er. „Wir glauben an die Freiheit von Information. Viele Probleme entstehen erst durch die Geheimhaltung der falschen Informationen.“ Deshalb sei es unter anderem ein Anliegen der Hacker, Information zu befreien. Andererseits, so Bernhard weiter, seien viele Informationen, die einer Geheimhaltung unterliegen sollten, zu schlecht geschützt, woraus sich ein Bedarf nach sicher verschlüsselten Systemen ergebe. PGP sei solch ein Verschlüsselungssystem, das auf höchst aufwendigen kryptografischen Verfahren wie der Primzahlfaktorisierung extrem hoher Zahlen, einer selbst für große Rechner schwer umkehrbaren Rechenoperation, beruhe.

Dabei läßt er es dann leider bewenden und verweist auf den Workshop „PGP für Anfänger“ in der ersten Etage, in dem über digitale Unterschriften und geheimdienstsichere Verschlüsselung doziert wird. Der Bedarf an geheimdienstsicheren Verschlüsselungsmethoden scheint enorm zu sein, wie die vielen andächtig lauschenden Zuhörer zeigen. Als der Dozent erklärt, daß die entsprechenden Erläuterungen des PGP auf den „HWWT-Seiten des Phil-but“ erhältlich sind, gebe ich auf. Das Fleisch ist willig, doch der Geist ist schwach, sage ich mir und verkrümele mich mit dem tröstlichen Gedanken, daß meine Sauklaue auch keiner lesen kann.

Zurück bei den Hackern treffe ich Thomas. Vor ihm steht ein Monitor mit dazugehörigem Rechner, der mit einem Aufkleber T-E-L-E- F-U-N- verziert ist. Das Logo der Telekom, ein Posthörnchen mit zwei auseinanderstrebenden Pfeilen, ist zu einem Totenschädel mit gekreuzten Knochen mutiert. Der 23jährige ist gerade im Begriff, seinem Computer zu zeigen, wie man Käse-Semmeln ißt. Mit vollen Backen mampfend, erklärt er, daß er hier das gleiche tut wie zu Hause auch: News und Briefe lesen. Nach Berlin ist er bloß gekommen, um ein paar Leute wiederzusehen, die er von den vorhergegangenen Treffen her kennt.

Thomas stammt aus Munsterlager und hat bereits mit 12 Jahren angefangen, mit dem Computer zu spielen. „Damals in der fünften Klasse hatte ich einen C 64, und wir haben immer Computerspiele gespielt. Später hatte ich dann auch Lust, andere Sachen mit dem Computer zu machen.“ Heute ist er über E-Mail mit anderen Teilnehmern auf der ganzen Welt verbunden.

Für Thomas ist der Tag nicht lange genug, um all die Texte zu lesen und die Briefe zu beantworten, die ihn in der Mailbox interessieren. „Morgens, wenn ich aufstehe, gucke ich als erstes in die Mail, dann in die News. Nach der Arbeit gucke ich wieder rein, erst die Mail, dann die News, und meistens beantworte ich dann noch Briefe. In den News bin ich mein eigener Reporter.“

Aus Zeitgründen sortiert er gründlich aus, womit er sich beschäftigt. „Wenn ich will, checke ich 3.000 News in der Stunde. Das Raussortieren geht ratz-fatz!“ Der gelernte Elektromaschinenbauer arbeitet im Stahlbau, wo er eine CNC-gesteuerte Maschine bedient. Das einzige Hobby, das er außer dem Computer noch hat, ist Tanzen. An den Wochenenden besucht er Kurse für Gesellschaftstänze.

Auf dem Weg nach draußen fällt mir ein eigenartiges Gebilde auf, das von der Decke baumelt und ein bißchen an Elektronik- Sperrmüll erinnert. Es nennt sich „Sonne im Gleichgewicht“ und ist eine Konstruktion von Jörg Schilling und Sebastian Koch. Die beiden bezeichnen das Gebilde als „Werk der postexpensiven Rechenwerksepoche“. Es ist vollständig aus Elektromüll hergestellt.