Flughafen zum Wolkenkuckucksheim

■ Serie "Wo hebt Berlin ab?" (Letzter Teil): Ein internationales Luftkreuz, das das Land will, gibt es bereits in Frankfurt/Main / Das Monstrum "Großflughafen München" hingegen sollte Berlin zu denken geben

Daß die Freiheit auf der Erde, im Gegensatz zu jener am Himmel, eingeschränkt ist, sollte eine Erfahrung mit Gültigkeit sein. Gerade den Flughafenplanern des BBI (Berlin-Brandenburg-International), die sich grenzenlose Start- und Landebahnen sowie riesige Dienstleistungszentren neben Super-Terminals im Jahr 2010 mit Hunderttausenden von Arbeitsplätzen in der ländlichen Weite von Sperenberg vorzustellen vermögen, müßte das Gesetz besonders zu denken geben. Doch sie denken über den Wolken.

Auch in Sperenberg könnte sich am Ende die Einflugschneise als ungenügend frei herausstellen, donnerten die Jets über Dorfkirchen und abgeholzte Wälder. Ebenso bedenkenswert bleibt, ob das freie Spiel der Marktwirtschaft die erhofften Investoren samt Bürostädten in die märkische Steppe lockt. Und schließlich ist fraglich, ob ein künstliches Airport-Monstrum über vierzig Kilometer außerhalb Berlins mit bis zu sechs Rollbahnen und einer Kapazität von 20 Millionen Passagieren jährlich überhaupt gebraucht wird. Ein internationales Luftkreuz, das der Berlin-Brandenburg-International werden möchte, gibt es bereits in Frankfurt/Main, schon in München müht man sich damit vergebens ab. Von München lernen?

Zweifellos lassen sich die Sperenberg-Airport-Träume mit jenen für den Musterflughafen „Franz Josef Strauß“ in München vergleichen. Hier wie dort standen am Ausgangspunkt der Planung Überlegungen, die sich mehr an Prognosen und Wünschen denn an kühler Kalkulation orientierten. Von den zahlreichen Gästen der Olympischen Spiele 1972 geblendet, propagierten ab 1974 Landes- und Bundespolitiker – darunter der spätere Namensgeber des Flughafens – größenwahnsinnige „Leitbilder“, aber wenig Fakten für einen internationalen Großflughafen München. Nach den Olympischen Spielen lag München geradewegs neben Rio de Janeiro und New York.

Der zukünftige Airport, so die Hochrechnungen, sollte 30 Millionen Fluggäste jährlich abfertigen können. Mit 25.000 bis 50.000 möglichen neuen Arbeitsplätzen, so bildete man sich ein, könne man Büros und Gewerbe vor die Tore Münchens locken. Draußen im scheinbar menschenleeren Erdinger Moos hatte bereits 1969 das Raumordnungsverfahren eine Airportfläche von 2.500 Hektar ausgelotet: weit und frei, sicher und ohne Fluglärmbelastung für Anwohner (bis auf ein paar hundert Dörfer mit knapp 100.000 Bewohnern), endlos ausbaufähig, für vier Rollbahnen.

Es war bezeichnend für die bayerische Planungseuphorie (ebenso wie die Berliner heute), daß die Debatte um den Münchener Großflughafen sich mehr um das Erscheinungsbild und die Architektur des künstlichen Kolosses auf der grünen Wiese drehte als um die Frage nach der generellen Notwendigkeit eines derartigen Airports. Auf Betreiben der Münchener Flughafen GmbH (MFG) wurden ab 1974 „Funktionskonzepte“ und „Gestaltungsrunden“ initiiert, die den Flughafenbefürwortern wie -gegnern die Legitimation eines solchen Unternehmens vorspiegeln mußten.

Sicher, heraus kam ein schniekes Terminal, aber es ist den Flughafengegnern und Bürgerinitiativen zu verdanken, daß der Großflughafen im Erdinger Moos nicht schon heute einer überdimensionierten Geisterstadt gleicht, weil die Ansprüche zu groß geraten waren. Schon 1974 mußten die vier geplanten Rollbahnen auf drei zurückgestrichen werden, 1981 beendete das Verwaltungsgericht in München den ersten Bauabschnitt mit der Begründung, daß der Geländeverbrauch zu hoch und die Planung überdimensioniert sei.

Von 1981 bis 1984 erfolgte die Phase der Umplanung des Flughafenprojekts. Auch die dritte Startbahn wurde gestrichen und der Geländeverbrauch auf 1.400 Hektar reduziert. Eine weitere geforderte Flächenverringerung konnte nicht durchgesetzt werden. Und selbst eine „Amigo-Affäre“ – Wirtschaftsminister Jaumann und sein Abteilungsleiter Ringelmann waren Mitglieder des MFG-Aufsichtsrates und zugleich mit der luftfahrtrechtlichen Genehmigung betraut – konnte den nach wie vor zu aufwendig geplanten Bau von 1985 bis 1992 nicht stoppen.

Heute, drei Jahre nach Inbetriebnahme, sehen sich die Kritiker des Großprojekts bestätigt. „Der Flughafen ist viel zu groß gebaut worden“, meint Christian Magerl, Mitglied der Grünen im Bayerischen Landtag. „Einer Startbahnkapazität für über 30 Millionen Fluggästen stehen etwas mehr als 13 Millionen gegenüber.“

Der Flughafen schreibe rote Zahlen. Zum wirtschaftlichen Flop – die Zahl der prognostizierten Arbeitsplätze wurde nicht erreicht und liegt bei 10.000 – komme die „gigantische Naturzerstörung“ hinzu, so Magerl. Die Grundwasserabsenkung sei auf einer Fläche von 5.000 Hektar registiert worden statt auf den 1.500 Hektar des Airport-Areals. Zu den Eingriffen in die Natur hinzu addieren sich die raumfressenden Autobahntrassen östlich und westlich des Flughafens und der zeitraubende Anfahrtsweg mit der S-Bahn, deren Trasse eigens mit viel Geld ins nördliche „Moos“ gegraben werden mußte. Rund vierzig Minuten benötigt die S-Bahn für die 29 Kilometer lange Strecke vom Münchener Hauptbahnhof bis zum Flugplatz: eine Zeit, in der man mit dem ICE bis Stuttgart kommt.

Ganz anders hat sich die Mainmetropole Frankfurt die Zukunft ihres Flughafenstandorts eingerichtet: stadtnah, laut und brüllend, wachsend, umweltunverträglich, mit der City verknüpft durch die S-Bahn und Eisenbahn sowie zahlreiche Schnellstraßen, die in ein paar Minuten den Banker vom Schalter zum Eincheck-Counter katapultieren.

Wer seit den siebziger Jahren mit dem Flugzeug nach Frankfurt einschwebte, landet auf einem Luftbahnhof im Ausbau. Die Drehscheibe des deutschen und europäischen Luftverkehrs hat sich heute mit Hunderten von Bauten und Hangars, Frachtzentren und Verwaltungsgebäuden, Autobahnschleifen und Einfädelspuren, Hotels und Bürozentren in die Landschaft südlich von Frankfurt gefressen. Eine Stadt in der Stadt entstand, die ohne Halt und Rücksicht auf ökologische und wirtschaftliche Schwächen sich am Frankfurter Kreuz ausdehnte und weiter ausdehnt.

Wo sich am Ende der siebziger Jahre noch Bürger, Politiker der Grünen und sogenannte Autonome mit der Polizei Schlachten um den Bau der Startbahn West lieferten, jagen heute Jets im Minutentakt heulend über das Rollfeld. Nichts hat den Airport aufhalten können.

Frankfurt gleicht einem Flughafenmoloch. Um das bisherige Terminal 1, ein vierfingriges Betonwesen im Stil der siebziger Jahre mit endlosen Laufzonen, unübersichtlichen Hallen und Ecken, zu entlasten, entstand nach zehnjähriger Planungs- und Bauzeit das Ende Oktober 1994 eröffnete neue Terminal 2, das die Kapazitäten des Standortes um 10 bis 12 Millionen Passagiere erweitert. Das Flughafenwunder hat bei den Frachttransporten London-Heathrow längst hinter sich gelassen. 1,2 Milliarden Tonnen Güter werden hier jährlich umgeschlagen. 64 Flugbewegungen in der Stunde koordinieren die Lotsen derzeit auf ihren Radarschirmen. Rund 30 Millionen Passagiere pro Jahr starten und landen auf dem nur 19 Quadratkilometer großen Flugplatz. 1995 sollen es bereits 35 Millionen sein. Für das Jahr 2010 prognostiziert die Flughafen AG 52 Millionen Fluggäste und 450.000 Flugbewegungen. Der Bedarf an Kapazitäten soll noch steigen. Wohin eigentlich und für wen?

Frankfurt in Berlin kopieren zu wollen, käme einem finanziellen und verkehrspolitischen Desaster gleich. Dennoch beinhaltet das Konzept des schrittweisen Ausbaus, der gewollten Stadtnähe und der verkehrlichen Erschließung für „Berlin-Schönefeld-Minimal“ Exemplarisches. Die Nähe zur City bedeutet etwa für den Flugplatz in Frankfurt eine Arbeitsplatzgarantie: Hotels und Konferenzstandorte, Speditionen und andere Betriebe sind Teil des engen Geflechts Arbeitsort Flughafen und Dienstleistungscity „Bankfurt“ mit kurzen Verbindungsstrecken, Transportwegen und günstig gelegenen Warenumschlagszentren.

Nicht anders verhält es sich mit der Anbindung des Flughafens an die Innenstadt: Das Straßennetz von den Höhen der Autobahnspur zu den Tiefen des Flughafenbauches erinnert wohl an Spuck- und Schluckeinrichtungen. Doch neben den betonversiegelten Linien, Kleeblättern und Kreuzen, auf denen man mit dem Pkw und Lastkraftwagen in wenigen Minuten den südlichen Stadtrand erreicht, war es ein einfaches, den Schienenverkehr zwischen den Terminals und den Haltepunkten der Stadt auf den bestehenden Trassen auszubauen.

Zwar klotzten die Kommune Frankfurt und das Land Hessen mit 365 Millionen Mark bei der Anbindung des neuen Terminal- Gebäudes an das Autobahnnetz. Aber 350 Millionen Mark flossen auch in die schienenbetriebene neue Hochbahn und in S-Bahnhöfe. In den Schubladen liegen zudem Pläne, wie unter dem Großflughafen demnächst ICE-Züge halten sollen.

Wohl kaum wäre mit einem solchen Netz öffentlicher Verkehrsverbindungen von Berlin etwa nach Sperenberg in naher Zukunft zu rechnen, fehlen doch die nötigen Milliarden in den öffentlichen Kassen. Der ökologische Raubbau von 2 Millionen abgeschlagener Bäume, eine betonierte Mark mit künstlichen Bürowelten und tagtäglicher Pkw- Verkehr ist angesichts mangelnder Ressourcen zudem kaum zu rechtfertigen, wie Umweltschützer warnen. Schönefeld dagegen böte sich nicht nur an als billigere Variante, sondern ebenso als öffentlich gut erschlossener Ort. An ihm flögen die Hoffnungen auf zu steigernde Kapazitäten nicht über den Wolken, sondern blieben am Boden. Rolf Lautenschläger

Die ersten drei Teile der Serie erschienen am 9., 15. und 22. Dezember