■ Kampf der Mahnmale in Wien: Hrdlickas Figur, ein Kommentar
Eine ganze Zeitlang war die Auseinandersetzung „Biermann – Hrdlicka und die Folgen“ herzlich uninteressant; auf einen Unfug war schlicht ein weiterer gefolgt, auf Biermanns Stoßgebet, er wolle nicht unter von Gysi gemachten Gesetzen leben (als bestünde diese Gefahr auch nur in Ansätzen), hatte Hrdlicka mit den „Nürnberger Gesetzen“ gefuchtelt, und so hätte es immer weitergehen können, wäre da nicht Simon Wiesenthal gewesen. Wiesenthal, der im nächsten Jahr die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien erhalten soll, hatte zunächst gefordert, Hrdlickas Mahnmal auf dem Albertinenplatz abzureißen. Der Bürgermeister der Stadt, Häupl, hat dieses Ansinnen im Hinblick auf die „Stärkung der falschen politischen Kräfte“ abgelehnt, aber Wiesenthals Vorschlag begrüßt, ein Mahnmal zu errichten, das alle 65.000 deportierten Juden Österreichs namentlich erwähnt.
Damit ist die Angelegenheit dort gelandet, wo sie interessant zu werden verspricht: bei dem alten Streit, ob ein solches Mahnmal figurativ oder abstrakt zu sein hat. Darf man sich ein Bildnis machen, oder muß man, wie es zum Beispiel die religiösen Angehörigen der Überlebenden fordern, auf diese Idolatrie verzichten? Soll man an die Täter erinnern oder an die Opfer, aufklären oder der Kontemplation Raum geben?
Figurativ ist gar kein Ausdruck für Hrdlickas Werk: Man stolpert förmlich über den am Boden geduckten Juden, der mit einer Zahnbürste die Straße putzt. Das Argument, man müsse die „privaten“ Äußerungen des Künstlers von seinem Werk trennen, sollte man genau umdrehen: Wie kommt es, daß Hrdlicka zwar Empathie für den einzelnen Gedemütigten aufbringt, aber vor dem System und dessen Ideologie die Augen verschließt?
Wiesenthals Gedächtnismauer hält Hrdlicka für „glatten Unfug“. Sie könne sein Mahnmal auch nicht „anschaulicher machen“, das sei ja, als wolle man Michelangelos „Jüngstes Gericht“ mit Tafeln ergänzen, „in die man eingraviert, wer in den Himmel kommt“. Das ist doch nun in der Tat eine nicht übermäßig bescheidene Einordnung des eigenen Mahnmals in die religiöse Ikonographie. Sie wirft ein Licht auf die unangenehme Vorstellung Hrdlickas, er habe die Opfer mit seinem Bildnis als solche geadelt, die in den Christenhimmel zu kommen verdienen.
Spätestens durch diese Äußerungen ist Hrdlickas Mahnmal, was unzählige vor ihm, von Buchenwald bis Warschau, auch schon sind: Kommentare zur geistigen Situation der Zeit. Als Trauerbekundungen für die Ermordung der 65.000 hat es sich spätestens jetzt komplett diskreditiert. Mariam Niroumand
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