Abschieben zum Sterben?

■ Plan: Hospiz in Bremen / Kritik: Das ist Abschiebung von Austherapierten

Das Bremer Gesundheitsressort plant zusammen mit der Organisation „Pro Senectute“ ein Hospiz für Sterbende – und zwar in Osterholz im „Stiftungsdorf“ der Bremer Heimstiftung. Zehn Zimmer mit Küchenzeile, Naßzelle und Schlafmöglichkeit für Angehörige sollen dort ab Mitte 1996 Sterbende aufnehmen. Menschen, die keine Familie haben, deren Familie sich unbedingt mal erholen muß, oder deren Familie sie aus organisatorischen Gründen nicht zuhause pflegen kann, erklärt Michael Melms, ehrenamtlicher Mitarbeiter von „Pro Senectute – Gesellschaft für würdiges Leben und Sterben im Alter e.V.“).

Eine „Sterbeklinik“ ist ein Hospiz übrigens nicht: Denn hier wird nicht mehr therapiert, nur die Hausärztin oder der Hausarzt kommen noch für lindernde Maßnahmen. Krankenpflegepersonal sorgt für die Pflege, ehrenamtliche SterbebegleiterInnen für die psychosoziale Betreuung. „Wie ein Zuhause soll das Hospiz werden, aber mit pflegerisch erstklassiger Betreuung“, sagt Melms.

Was in den Medien gefeiert wird – die Betreuung Sterbender jenseits der unpersönlichen Heime und Krankenhäuser –, stößt in Bremen auf Kritik, zum Beispiel bei Pastor Dieter Tunkel. Er begleitet Sterbende beim zweiten Bremer Träger für Sterbebegleitung, der Hospiz-Hilfe. Der Grund für Tunkels Ärger: „Wir haben uns in der Arbeitsgruppe ,Schwerstkranke und Sterbende begleiten' beim Gesundheitssenator geeinigt, erstmal die ambulante Sterbebegleitung zu stärken und den Gedanken an eine stationäre Einrichtung zurückzustellen – und nun verhandelt das Gesundheitsressort hinter unserem Rücken mit Pro Senectute über solch eine stationäre Einrichtung!“

Tunkels Argument gegen ein Hospiz zum jetzigen Zeitpunkt: Die Menschen haben sowieso schon Angst vor dem Thema Sterben, fühlen sich hilflos, wenn sie einen Angehörigen begleiten sollen – wieviel leichter macht es ihnen da ein Hospiz, Sterbende dorthin abzuschieben! „Unsere Arbeit bei der Begleitung Sterbender zuhause ist es aber gerade, das Sterben zu enttabuisieren, die Menschen an ihre Fähigkeiten und Ressourcen zu erinnern.“

Erst müßte man die ambulante Sterbebegleitung ausweiten, dann vielleicht könnte man über ein stationäres Hospiz sprechen, sagt Tunkel. „Jetzt aber ist das nur ein Vorzeigeobjekt für die Politik und bindet Mittel.“ Mittel, die er lieber für die Ausbildung weiterer ehrenamtlicher SterbebegleiterInnen einsetzen würde oder für sogenannte „Brückenschwestern“, die rund um die Uhr SterbebegleiterInnen mit Todkranken vermitteln könnten. Für solche Stellen reichen die Spenden nämlich nicht.

Geld kostet auch die Betreuung im Hospiz: „Pro Senectute“ rechnet mit 300 Mark pro Tag und Bett (der Krankenhaussatz liegt bei über 600 Mark). Die Ersatzkassen wollen sich mit 170 Mark beteiligen. Den Rest müßten die PatientInnen selbst zahlen, notfalls das Sozialamt.

Genau diese Dumpingpreise machen der grünen Bürgerschaftsabgeordneten Karoline Linnert Sorge: Wenn jetzt bald in den Krankenhäusern Fallpauschalen eingeführt werden, dann werden PatientInnen, die zu lange liegen, irgendwann dem Krankenhaus zu teuer. Linnert fürchtet, daß Austherapierte ausgesondert und abgeschoben werden. „Wenn Sterben zum Leben gehört, dann brauchen wir keine Sondereinrichtung!“

Und Pastor Tunkel würde lieber erstmal für eine „neue Kultur des Sterbens“ in Altenheimen sorgen, als solch einen exquisiten Ort für wenige Sterbende zu schaffen. Aber er gibt dem Bremer Hospiz eh nur begrenzte Chancen: So manches der rund 20 deutschen Hospize habe Schulden in sechsstelliger Höhe. Das in Herborn habe ganz aufgegeben. Und in Köln strickten die Ehrenamtlichen Strümpfe, um auf Basaren Geld einzutreiben. „Ich finde das unwürdig.“ Im Frühjahr will das Gesundheitsressort seinen Hospiz-Plan der Deputation vorlegen. cis