Kosmetik statt Schadensbeseitigung

■ Kreuzberger Wohnung steht nach einem Pestizidunfall seit vier Jahren leer / Hauswirt Steinebach unterlag inzwischen vor Gericht, will die Gifte aber noch immer nicht entfernen

Das Gerichtsurteil läßt an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Hausbesitzer Karl-Heinz Steinebach muß in der Kreuzberger Grimmstraße eine Vier-Zimmer- Altbau-Wohnung gründlich sanieren, in sämtlichen Räumen muß der Deckenputz, der Wandputz und die Dielung ausgetauscht werden. Dreieinhalb Jahre dauerte der Rechtsstreit, den die betroffene Familie Schillen-Kanbay anfing, weil im Februar 1991 Handwerker krebsauslösende Fungizide und Pestizide durch die Decke in die Wohnung tropfen ließen, aber sich der Vermieter weigerte, die Gifte zu entfernen.

Das Urteil wurde im Mai dieses Jahres verkündet, bis September hätte Vermieter Steinebach die Sanierungsarbeiten beginnen müssen – doch bis heute ist nichts passiert. Die Schillen-Kanbays müssen weiter in einer Zweizimmerwohnung im Wedding notwohnen, von wo aus sie ihre beiden Kinder jeden Morgen in die Schule nach Kreuzberg bringen.

Steinebach hat vor Gericht dabei gleich in zwei Sachen verloren. Statt der Gifte wollte er nämlich die „giftige“ Familie aus der Wohnung entfernen lassen. Sie hätten den Zugang zur Wohnung verweigert, weil sie ihm den Schlüssel nicht aushändigten. „Der weiter verfolgte Anspruch auf Räumung der Wohnung ist nicht begründet“, heißt es jetzt aber im Namen des Volkes. Die Schillen-Kanbays wollten den Schlüssel nämlich erst herausgeben, wenn sie erfuhren, ob tatsächlich saniert würde. Das Informieren seiner Mieter sei für den Vermieter zumutbar gewesen, meinte der Richter. Steinebach hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß er gar nicht sanieren, sondern verseuchte Decken und Wände „abhängen“ und überstreichen wollte – Kosmetik statt Schadensbeseitigung.

Nach dem Prozeß hat der Immobilienbesitzer seinen Anwalt gewechselt. Keine ungewöhnliche Sache in einem langwierigen Verfahren, in dem die Schadensersatzansprüche noch erst geklärt werden müssen. Auch die Schillen- Kanbays nehmen nach dem Erfolg vom Mai mittlerweile den vierten Rechtsvertreter in Anspruch. Der dritte nämlich hat versäumt, bei Gericht den Austausch der verseuchten Deckenbalken zu beantragen, die Steinebach nicht wechseln will.

Für diesen wiederum ist klar, daß man sich mit den Schillen- Kanbays kaum einig werden könne: „Die Sterne stehen falsch.“ Er habe nur Kosten und könne die Baufirma, die den Schaden verursachte, nicht einmal in Regreß nehmen, da diese inzwischen pleite sei. Der damalige Bauleiter sei schwer erkrankt. Da er die Dachbalken nicht auswechseln werde, könne er nicht sagen, wie es weitergehen soll. Die Schillen-Kanbays erwarten für März kommenden Jahres eine weitere Entscheidung vor Gericht. Sollte es dem geforderten Ersatz stattgeben, dürfen die Kläger selbst die Handwerker mit der Sanierung beauftragen, die vom Verlierer Steinebach bezahlt werden müßten. Dirk Wildt