Unorte: Vorsätze Von Claudia Kohlhase

Ich nehme mir extra nichts vor. Wer weiß, ob das geht, aber es muß. Schließlich nehmen sich schon genug Leute zig Sachen vor, also ich doch nicht auch noch. Außerdem übe ich kein Rauchen aus und trinke soviel, wie die Polizei erlaubt. Im Grunde kann ich bloß normal weiterleben, und das fällt ja nicht unter Vorsätze, weil normal leben sowas Allgemeines hat und nichts ist, was man sich extra vornehmen müßte.

Natürlich kann einen keiner zwingen, sich nicht doch eine Kleinigkeit vorzunehmen, auch wenn man sich grade das Gegenteil vorgenommen hat. Eventuell könnte ich mir vornehmen, weniger zu lügen, zu stehlen und meine Eltern zu ehren. Aber damit kommt man heutzutage nicht weit, und was soll man da? Also ich wüßte nicht, was ich an der nächsten Ecke sollte, dazu noch, ohne zu lügen, zu stehlen und bloß mit geehrten Eltern, von denen man im Grunde auch nichts mehr hat und die wiederum selbst nicht genau wissen, warum sie auf einmal geehrt werden sollten. Jahrelang ging's doch auch so. Außerdem sind Eltern nicht blöde und wittern gute Vorsätze schon an der Haustüre, wo man noch gar nicht die Schuhe ausgezogen hat und schon Tabletts in die Küche trägt und das gute Graubrot in den dafür vorgesehenen Beutel packt.

Also bloß keine guten Vorsätze. Höchstens zwei, drei schlechte für etwas Aberwitz und Irrsinn. Man könnte sich zum Beispiel vornehmen, ohne Grund in fremden Wohnungen herumzulaufen. Wohnungen ohne Grund zu betreten ist unbedingt überflüssig, außer, man möchte sein Leben mit etwas sozialem Schauder anreichern. Jemand zeigt dir da seine Wohnung im festen Glauben, ein armes Schwein auf Wohnungssuche hereinzulassen; dabei hast du ein reizendes Zuhause und willst bloß mal gucken, wie ungemütlich andere leben oder in welchen grauenvollen Rattanzusammenhängen und mit 70erJahre-Klavieren, an denen vermutlich Deep Purple improvisiert wird.

Mittlerweile ist mir ziemlich klar, warum man sich nichts vornehmen sollte. Es ist das gleiche wie mit dieser Unsitte, zu allem ein paar themenbezogene Sätze zu sagen. Ich gebe gerne zu, daß ich neulich solide log, als es auf dieser einen Party, oder war's eine Fete, um die ausreichende Zufuhr von Wissen ging. Ich gab pro Tag zwei komplette Spiegel-Artikel mit einschlägig unabhängigem Gedankenstrang an, aber es wollte niemand wirklich Genaues erfahren; darum ist es eigentlich egal, ob es sich um echte Sätze oder um eine Lüge handelt, weil niemand mich wirklich Spiegel-Artikel abfragen würde, die ich nicht wirklich gelesen habe. Eventuell könnte man sich vornehmen, bei Partys vorher durchs Fenster zu schauen und danach zu entscheiden, ob man herein will. Aber das bringt vermutlich auch nichts, weil es draußen regnet und der Mensch irgendwo unterkommen muß. Da ist es schon besser, bei Käsesalat unterzukommen. Ich meine, es muß ja niemand merken, daß man allein des Käses wegen dabei ist. Man kann ja schweigend essen und so im Grunde wieder die Wahrheit sagen – wenn jemand merken würde, daß es sich hier um eine handelt, die sich bewußt nur den Käse vorgenommen hat. Aber das klingt schon wieder verdammt nach Vorsatz, und wenn man sich schon keine Vorsätze machen will, hört das ja nicht bei Käse auf.