Unterm Strich

Und so kam es zu dem legendären Hochwasser von Altenmarkt: Überall war es still in diesen Tagen des Jahresendes 1994. Die Büros verwaist, in den Fabriken standen alle Räder still. In den Verlagshäusern der Republik herrschte Grabesstille. Das Weihnachtsgeschäft war gelaufen, die Frühjahrsproduktion stand, eine der seltenen entspannten Phasen für die Branche im Jahr. Aber halt, in einem Büro in der Frankfurter Lindenstraße summte und brummte es noch. Der Verleger des Suhrkamp Verlags, Siegfried Unseld (Dr. Dr.h.c.), räumte auf. Reinen Tisch machen. Erst den Brief an Stolte vom ZDF (Prof. Dr.h.c.) wg. Reich-Ranicki, jetzt schnell noch mal die Autorenliste durchgegangen: Mal sehen, wer entbehrlich ist. Und dann, noch vor Weihnachten, schnell ein Fax raus: Hau weg den Scheiß! (Man kommt ja sonst doch wieder nicht zum Aufräumen und schleppt den Schrott dann das ganze Jahr mit.) Mal sehen: Aha, der Kroetz! Der nervt! Kein großer Erfolg, die letzten Stücke. Früher besser.

Liefen prächtig, diese Krawallstücke: Verfassungsfeinde, Furcht und Hoffnung der BRD, Bauern sterben. Schullektüre. Jetzt nicht mehr so berühmt, der Verkauf. Außerdem verwaltet der Hund seine Aufführungsrechte selber. Ach komm, Schluß damit: „Sehr geehrter Herr Kroetz.“ (Nein, halt, zu förmlich.) „Lieber Herr Kroetz, Sie haben uns zwei Stücke eingereicht, ,Der Drang‘ und ,Ich bin das Volk‘. Wir sind Ihnen bislang gefolgt. Jetzt muß ich Ihnen leider sagen, daß wir in den beiden Stücken nicht die Qualität erkennen können, die erforderlich ist, damit ein Text zwischen zwei Suhrkamp-Buchdeckeln erscheinen kann. Ich rede nicht davon, daß die Verkäufe in den letzten Jahren drastisch rückläufig geworden sind (muß es nicht heißen: zurückgegangen sind? Ach, pfeif drauf. Hauptsache, es sitzt.) Ich rede auch nicht davon, daß Sie Ihre lukrativeren Aufführungsrechte selber verwalten (Sauhund!), aber ich muß doch feststellen, daß diese Stücke allzu beliebig erscheinen, und deswegen können wir sie nicht veröffentlichen. Mit freundlichen Grüßen, Siegfried Unseld“

Zwei Tage später, am Hl. Abend, im Hause Kroetz. Die Bescherung stand vor der Tür, Bratenduft lag in der Luft, aber Vater Kroetz saß mit gebrochenem Blick am Computer. Er schrieb einen Antwortbrief an seinen Verleger Siegfried Unseld: „Sehr geehrter Herr Dr. Dr. Unseld, dankeschön für Ihr ,Weihnachtsgeschenk‘, das ich soeben erhalten habe, und jetzt langt‘s. Sie sind mein Verleger nicht mehr, und ich bin Ihr Autor nicht mehr. Ich fordere Sie hiermit auf, alle noch in Ihren Lagern befindlichen Kroetz- Bücher aus dem Verkehr zu ziehen bzw. nicht mehr auszuliefern. Das fällt Ihnen sicher leicht, da Kroetz eh niemand mehr lesen will. (Schluchz). Wir haben eine mündliche Vereinbarung, sowohl zwischen Ihrem Sohn und mir, als auch zwischen Ihnen und mir, als er noch Ihr Sohn war (harhar), daß ich jederzeit meine Rechte nehmen und gehen kann, wohin ich will. Ich tue es jetzt und verlasse einen Verlag, den ein hinter seinem Jaguar hervorgrinsender böser alter Mann ruiniert, als wär alles nur seins. Um das Weihnachtsgeschenk auch als solches kenntlich zu machen, erlaube ich mir, Ihren Brief und mein Antwortschreiben zwei oder drei überregionalen Zeitungen zuzusenden, nicht weil ich denke, daß ich so wichtig bin, sondern weil ich verzweifelt bin und Ihnen wirklich nicht gönne, daß Sie meiner Familie und meinen beiden Kindern (Schluuuchz) das Weihnachtsfest verderben ...“ Und hier packte den Volksdramatiker ein solches Elendsgefühl, daß sich seine Augen augenblicklich mit Tränen füllten ob der Unrechtstat des bösen alten Mannes. Bald schon hatte ein salziger Strom die Weihnachtskrippe der Familie Kroetz hinweggeschwemmt, hinaus auf die Straßen des idyllischen Fleckens Altenmarkt, wo man noch heute alljährlich des Hochwassers vom Winter 94 gedenkt.