Beim postmodernen Friseur

Erster Druckraum für Fixer in Frankfurt/Main seit Monatsanfang in Betrieb / Gegner wurden zu Befürwortern / Anfangs zögerliche Nutzung  ■ Von Heide Platen

Das ist er nun, jahrelang heiß umstritten, heftig diskutiert, leidenschaftlich bekämpft: der Druckraum in der Schielestraße 26 im Frankfurter Ostend, der hier verschämt „Gesundheitsraum“ genannt wird. Vor einem hell beleuchteten, schmalen Wandbord stehen acht rote, blaue und grüne Stahlrohrsessel ordentlich in einer Reihe. „Einmal waschen und legen, bitte“, möchte frau mit Blick in die Spiegelkacheln an der Wand sagen.

Wer hierher zur Sitzung kommt, wird allerdings nicht postmodern onduliert – sondern drückt, schießt, fixt, ballert sich eine Spritze mit aufgekochtem Heroin in die Adern. Das Licht und die Spiegel erleichtern, im schlechtesten Fall, die Suche nach der Halsschlagader. Die BesucherInnen bleiben auch wesentlich kürzer als für eine Dauerwelle und haben vorher im winzigen Vorzimmer saubere Spritzen, destilliertes Wasser und Tupfer bekommen, setzen sich den Schuß und sind zehn Minuten später wieder gegangen.

Die Integrative Drogenhilfe (idh) betreut in der Schielestraße eine Übernachtungseinrichtung für Fixer, Substituierte im Nachbarhaus und seit Anfang Dezember auch den mit viel öffentlichem Getöse eröffneten Druckraum. Geschäftsführer Thomas Steuernagel ist gar nicht so böse über den Vergleich mit einem Frisiersalon: „Wir sind ein Dienstleistungsbetrieb und bieten einen Service an.“ Und das täglich von 14 bis 21 Uhr.

Ein CDU-Stadtverordneter sah das in der öffentlichen Debatte im Römer, dem Frankfurter Stadtparlament, ganz anders. In finsterer Zukunft würden sich Druckräume zu „Drogenhandelszentren“ entwickeln. Außerdem vermutete er einen „Sogeffekt“ auf das Umland. Die durch staatliches Wegsehen geschützte Einrichtung sei außerdem nur „die Vorstufe zur staatlichen Drogenvergabe“. Die allerdings fordern derzeit namhafte ExpertInnen, die in der kontrollierten Abgabe von Heroin an Abhängige den erfolgversprechendsten Weg zur Vorbeugung gegen Drogenhandel auf der einen, Kleinkriminalität, menschliches Elend, Krankheit und Tod auf der anderen Seite sehen.

Unterdessen wettert der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Eduard Lintner (CSU), in Richtung Main und fordert die Justiz zum Einschreiten auf. Die aber ist in Frankfurt auf der Seite der zuständigen Gesundheitsdezernentin Margarethe Nimsch und sitzt seit Jahr und Tag mit in der „Montagsrunde“, die den „Frankfurter Weg“, ein ressortübergreifendes Angebot der Drogenhilfe, erarbeitete.

Daß sich die Gemüter zur Eröffnung des Druckraums noch einmal so heftig erhitzten, schätzen Teilnehmer der Frankfurter „Montagsrunde“ als Theaterdonner im Vorfeld des hessischen Landtagswahlkampfes ein. Längst aber haben sich auch ehemalige Gegner im kleinen Kreis für die Druckräume ausgesprochen. Der Ortsbeirat der CDU im Bahnhofsviertel lenkte ebenso ein wie Einzelhändler, Mittelstandsvereinigung und Industrie- und Handelskammer, die den Umsatz durchs Drücken auf der Straße gefährdet sehen.

Daß der Hamburger Druckraum nach parteipolitischen Querelen und Rechtsunsicherheit noch vor der Eröffnung wieder geschlossen wurde, ficht die Frankfurter Initiatoren wenig an. Oberstaatsanwalt Harald Körner befaßte sich schon 1993 in einem Rechtsgutachten mit Paragraph 29 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), der ein „Verschaffen oder Gewähren von Gelegenheit zum Konsum“ unter Strafe stellt. Hier aber gehe es, ähnlich wie beim Spritzentausch, lediglich um das Gewähren humanitärer Hilfe durch „veränderte Möglichkeiten“.

Für Frankfurts Drogenreferent Gerd Fürst hat der Druckraum außerdem grundsätzliche Bedeutung: „Wir beeinflussen das Recht, indem wir auch in die Wirklichkeit etwas neu einfügen, was das Gesetz zwingt, sich zu bewegen.“ Gesetz und Wirklichkeit klaffen für ihn weit auseinander, wenn Menschen gezwungen sind, in krank machender Umgebung „im Dunkeln mit dreckigem Wasser und gebrauchten Spritzen“ zu fixen: Wir können nicht einfach zugucken, wie die Leute sterben.“

Dezernentin Margarethe Nimsch sagte zur Eröffnung, Fixerräume seien für sie inzwischen „eine Selbstverständlichkeit, weil sie dem Lebenserhalt und der Gesundheitsverbesserung der Abhängigen dienen“. Erreicht werden sollen vor allem die offiziell gezählten 150 Langzeitabhängigen, die sich in den Ecken des Bahnhofsviertels, in Hauseingängen und auf Seitentreppen versorgen und durch andere Hilfsprogramme nicht erreichbar sind. Im Amt haben nur wenige BürgerInnen gegen den Druckraum protestiert, dafür kamen zahlreiche Briefe mit Zuspruch.

Daß gerade diejenigen, die den Druckraum als „Verführung Jugendlicher durch das Bieten von Gelegenheit“ geißelten, schon wenige Tage nach der Eröffnung nörgelten, es komme ja kaum einer, brachte sie unversehens auf die Seite der eigentlich Betroffenen, der Fixer. Die murrten über den weiten Weg vom Bahnhofsviertel ins Ostend. Zwar fährt zwischen 15.30 und 21 Uhr stündlich ein hauseigener Shuttle-Bus vom Drogentreffpunkt vor dem „Café Fix“ in der Moselstraße ab, der aber brauche zur Hauptverkehrszeit manchmal über eine Stunde bis in das Industriegebiet am Stadtrand.

Tatsächlich war am ersten Tag nur ein einziger Fixer gekommen, am nächsten Tag waren es gerade mal vier. Inzwischen hat sich die Zahl auf zwanzig pro Tag gesteigert. Damit bleiben Frankfurt, so Geschäftsführer Steuernagel, Fehler erspart, mit denen ähnliche Einrichtungen in Holland und der Schweiz kämpfen mußten: „Unbeaufsichtigt sind die vom Ansturm fast überrannt worden. Dann haben sie streng beaufsichtigt, da kam keiner mehr.“ Das Frankfurter Modell liege dazwischen und basiere auf Vertrauenswerbung. Er fand es bemerkenswert, daß gerade die aggressiven Fixer, die sich den Schuß im Bahnhofsviertel „immer unter Streß, gleichzeitig in Angriffs- und Verteidigungshaltung setzen, ganz zahm, richtig scheu zu uns gekommen sind“. Steuernagel: „Die hatten eine hohe Hemmschwelle, weil das auch für sie völlig neu war.“ Sie hätten hier, meint er, „statt Hetze und Hektik auf einmal Ruhe gefunden. Der Thrill der Angst ist weg.“ Neu sei auch die Erfahrung, akzeptiert zu werden. Es sei Illusion, Fixern helfen zu wollen und dabei im niedrigschwelligen Hilfsangebot zu ihnen zu sagen, „das Drücken ist der Teil von dir, den du bei uns draußen vor der Tür läßt“. Sozialarbeiterin Lydia Wachendörfer sieht das als Chance für längere Gespräche. Die Fixer, weiß sie, „schätzen die Ruhe und die Sauberkeit hier“. Manche bleiben auch hinterher zum Fernsehen, zum Tischtennisspielen. Aber die Skepsis sei noch groß. Wachendörfer: „Ein richtiges Fazit können wir erst in einem Jahr ziehen.“

Daß bei den Fixern Gerüchte über Kontrollen und Namenslisten kursierten, dazu hat auch der Polizeiwagen vor der Haustür beigetragen. Der schreckt ab. Die Streife stehe da aber, so die MitarbeiterInnen, auf ihren eigenen Wunsch zum Schutz der Einrichtung und solle die Dealer abhalten, die zur Eröffnung der Übernachtungseinrichtung auch schon zum „Abchecken“ aufgetaucht waren. Projektleiterin Angela Schmidt: „Kein Fixer muß fürchten, daß er hier vor der Tür sein bißchen Heroin wieder abgenommen bekommt.“ Die Junkies kritisierten allerdings auch, daß die Polizei nach Eröffnung des Druckraumes im Bahnhofsviertel verstärkt und brutal kontrolliere, „um uns von dort in den Druckraum zu treiben und das Stadtbild zu cleanen“. Abschreckend habe in den ersten Tagen auch der Ansturm der Medien gewirkt. Steuernagel: „Da hatten wir hier mehr Journalisten und Kameras als Fixer.“

Im zweiten Stock der alten Main-Gas-Kokerei zeigt Ingo eines der engen Vierbettzimmer. Seine Ecke hat er sich richtig gemütlich eingerichtet mit Wandteppich, Fotos und Terrarium. In einem Käfig knabbert Ratte Roxie vor sich hin. „Wir haben im Haus“, sagt Angela Schmidt, „ein Rattenproblem.“ Inzwischen ist der Besitz der Lieblingstiere der Szene kontingiert. Pro Person ist nur noch eine erlaubt, und die muß sterilisiert sein. Ingo ist gelernter Forstwirt und lebt – eher die Ausnahme – schon zwei Jahre hier, ärgert sich regelmäßig über unordentliche Neuzugänge und arbeitet im Garten, dessen kleine Feuchtbiotope vorbildlich angelegt sind. In der Übernachtungseinrichtung im zweiten Stock, die Ende 1992 eröffnet wurde, stehen 75 Plätze zur Verfügung. Sie wurden anfangs ähnlich mißtrauisch und zögerlich genutzt wie jetzt der Druckraum. Inzwischen sind sie komplett belegt. Die Situation im Haus hat sich stabilisiert. Zerstörungen und Diebstähle sind gegen Null zurückgegangen. Die Hausbewohner haben die Schielestraße zu ihrer eigenen Sache gemacht, bestehen Gästen gegenüber auf Einhaltung der Hausordnung und sorgen für Sauberkeit. „Die haben untereinander“, stellte ein Sozialarbeiter fest, „viel strengere Ansprüche als wir.“ Die Junkies haben mitgeholfen, das Haus umzubauen. Sie mauerten Wände und richteten in der ehemaligen Großküche Büroräume ein. Das Gitter, das den Zugang zu den Schlafräumen sperrt, soll vor Diebstahl schützen.

Im Café wird gerade der Weihnachtsbaum aufgestellt. Er ist eine Spende aus nicht ganz untrüber Quelle. Aber, hat Angela Schmidt festgestellt, „ein Weihnachtsbaum muß sein“. Die Sehnsucht nach ein bißchen Geborgenheit muß allerdings in Eigenregie organisiert werden. SozialarbeiterInnen entgeht auf der Suche nach neuen Entwicklungen so schnell nichts. Sie fürchten, daß zu viel Gemütlichkeit auch zur Isolation führen kann. Steuernagel: „Wir ermuntern die Leute nicht, lange zu bleiben. Die sollen auch wieder gehen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen können.“

Ein zweiter Druckraum wird im Januar im Bahnhofsviertel eröffnet. Zusätzlich wünscht sich Steuernagel, ähnlich wie seine KollegInnen in anderen Einrichtungen, die Gründung von Kleinbetrieben, die ausschließlich von Junkies organisiert werden. Was hausintern beim Hausausbau, in Wäscherei und Kleiderkammer schon klappt, müsse ausgeweitet werden. Er rechnet allerdings nicht damit, daß die Drogenabhängigen gleich in einen geregelten Arbeitsalltag mit 40-Stunden-Woche einsteigen könnten: „Die Norm packen die nicht.“ Es sei wichtig zu akzeptieren, daß die Klienten nur dann arbeiteten, wenn sie es könnten und daraus Selbstbewußtsein bezögen, statt sich wieder als Versager zu fühlen.