: Wenn die Firma den Arbeitern tatsächlich gehört
■ Erfolgreiches Management-Buy-out im Berliner Kombinat für Elektroapparate
Berlin (taz) – Auf dem Pult steht eine Flasche Sekt. Wie Pennäler blicken 36 meist ältere Männer und wenige Frauen in die Kamera, einige feixend, die meisten ernst. „Das ist die Gründungsfeier“, erzählt Ursula Sommer und weist dann auf mehrere Fotos, die Leute mit Würstchen auf dem Betriebsparkplatz zeigen. „Sehen Sie, wie sich unser Gebäude verschönert hat?“
Nicht nur die Pressesprecherin, auch alle anderen bei der Berliner Ingenieur- und Computerfirma „Aucoteam“, sprechen in der ersten Person plural. Denn Aucoteam ist eines von 2.700 Ex-Treuhandunternehmen, das von den Managern oder einer ganzen Belegschaft als sogenanntes Management-Buy-out (MBO) übernommen wurde. Fast jede fünfte Privatisierung hat die Treuhand nach diesem Modell vollzogen. Es handelt sich ausschließlich um kleine oder mittelständische Betriebe. Sie können auf eine große Motivation der MitarbeiterInnen bauen, aber viele sind so extrem unterkapitalisiert, daß sie Flauten schwer überstehen können.
Kurz nach der Wende plante das größte Berliner Kombinat Elektro-Apparate-Werke (EAW), seine Forschungs- und Entwicklungsabteilung auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. „Selbstübernahme oder Schließung – das war die Alternative. Es gab ja keinen Wessi, der bei uns einheiraten wollte“, beschreibt Betriebsleiter Peter Schmidt die Situation. Der Ingenieur hängte Zettel auf, auf denen sich Interessierte eintragen konnten. Mit einem Mindesteinsatz von 10.000 Mark war man dabei. Die fünf späteren Geschäftsführer nahmen auf eigenes Risiko je 1,5 Millionen Mark Kredit auf.
Über zehn Millionen Mark verlangte die Treuhand für die Immobilie, die Maschinen und die Auftragsbücher. „Sie hat uns um mindestens 750.000 Mark geprellt“, ist sich Schmidt sicher; schließlich sei absehbar gewesen, daß viele Lieferkontrakte platzen würden. Auch was das Arbeitstempo der Behörde angeht, hat er deutliche Kritik: „Die Herren hatten Zeit, jedes Komma zu spalten.“ Neun Monate lang warteten Management und Belegschaft auf die Übertragung des Gebäudes – Investitionen mußten aufgeschoben werden. Trotzdem möchte der 51jährige etwas Positives über die Treuhand sagen. So entspricht es seinem Demokratieverständnis: „Sie hatte es ja auch schwer, genau wie wir.“
Klar war damals, daß ein reines Forschungsunternehmen keine Chance hätte. „Wir bieten heute Problemlösungen an“, sagt Pressesprecherin Sommer, die auch noch ein Betriebswirtschaftsstudium absolviert. Belüftungsanlagen, Computernetze, Stundenplan-Computerprogramme und die Hard- und Software für Wohngeldämter stehen ebenso auf der Angebotsliste wie Steuerungen für Abwasseranlagen. Von den alten Kunden ist nicht einmal ein Dutzend übriggeblieben; dafür sind 300 neue hinzugekommen. Die meisten sitzen in Brandenburg und Berlin, 50 Prozent kommen aus dem Westen.
Der Umwachs wächst: 1994 ein Plus von 30 Prozent. Für 1995 hat die Auftragsabteilung 70 Prozent mehr im Kasten als im letzten Dezember. „Aber wir sind nicht über den Berg, und die Banken wollen mehr als ein ausgeglichenes Ergebnis“, weiß Schmidt. Betriebsratschef Detlef Hesse nickt. Weil Subventionen auslaufen und die Gehälter steigen – inzwischen stehen auch zwei besser bezahlte Wessis auf der Liste – , sollen 1995 noch einmal zehn der inzwischen noch 185 Leute einen blauen Brief bekommen, darunter auch ein Mann, der mit 10.000 Mark eingestiegen ist. Hesse hat in die Bücher geguckt. Forderungen, die den Betrieb gefährden, machten keinen Sinn, sagt er. „Ich will die Leute eigentlich nicht raussetzen. Wir haben viele Jahre zusammengearbeitet. Die Rolle des Unternehmers ist mir manchmal unangenehm“, bekennt Geschäftsführer Schmidt. Auch Hesse hofft für seine Rollenfindung auf eine bessere Zukunft, mit Tariflöhnen und 13. Monatsgehalt. „Noch verzichtet jeder von uns auf Geld und Rentenpunkte, um den Betrieb zu erhalten.“ Bisher aber hat es der Betriebsrat nicht geschafft, die Geschäftsleitung auf Zusagen für den Fall einer guten Wirtschaftssituation festzunageln. Annette Jensen
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