„Einfach das Wasser abstellen!“

■  Eberhard Kulenkampff, 67, Ex-Baustaatsrat und Gewoba-Chef: „Altwerden in Bremen“

Die Zahl der Alten steigt, auch in Bremen: von heute 125.000 auf 144.000 im Jahr 2005. Wie muß eine Stadt beschaffen sein, damit sich alte Menschen in ihr wohlfühlen? Wir fragten Eberhard Kulenkampff, der jetzt selbst Rentner ist. Vorher war er lange Jahre Senatsdirektor im Bauressort, dann Gewoba-Chef.

Müßten jetzt nicht sofort massenweise Wohnungen altersgerecht umgebaut werden?

Eigentlich stellen erst die Hochbetagten, also ab 85, neue Anforderungen an die Wohnung. Diese Bedürfnisse sind aber so unterschiedlich, daß man jetzt nicht alle Wohnungen hochbetagtengerecht umbauen sollte. Die großen Woh-nungsbaugesellschaften reagieren deshalb erst auf die individuellen Wünsche zum Beispiel nach Haltegriffen in der Badewanne, einer höheren Toilette oder Geländern auf beiden Seiten einer Treppe.

Und wer zahlt das dann?

Bei der Gewoba zahlt das der Vermieter. Ein Mietvertrag über zwanzig Jahre ist ja ein Geschäftsvorfall, der einen Geschäftswert von 120.000, 150.000 oder mehr Mark hat. Wenn jemand einen Jaguar für 150.000 Mark verkaufen kann, da bäckt der für den Käufer 'ne Torte, bringt einen Blumenstrauß mit und erweist ihm jede Gefälligkeit, um mit diesem unglaublichen Kunden auch wirklich ins Geschäft zu kommen. Ein Mietvertrag hat auch solch einen Wert.

Nun ist ja ein Leben mit Wohnen allein nicht ausgefüllt ...

Es braucht mehr dazu als Wohn- und Schlafzimmer und Küche und Bad, nämlich eine Möglichkeit, irgendwelchen kreativen Aktivitäten nachzugehen. Das kann im Garten sein – wir sehen, daß sehr viele Mieter ihre Vorgärten übernehmen und pflegen. Aber viele schöpferische Arbeiten lassen sich in der heutigen Sozialwohnung nicht durchführen, insofern...

Also Thema Bastelkeller...

...insofern wäre es wünschenswert, daß zusätzlich Gemeinschaftsräume in der Hand der Mieter sind. Dazu gehört aber vielleicht auch die Verführung zu Aktivitäten.

Ist das auch eine Aufforderung an StadtplanerInnen? Ich will ja nicht nur im Verein und im Hobbykeller vor mich hinwursteln, sondern auch am Leben in der Stadt teilnehmen.

Ja sicher. Stellen Sie sich vor, Sie dürften ein Jahr lang nicht aus der Gartenstadt-Vahr heraus! Wenn Sie allein dort von 65 bis zu ihrem Tod mit 90 ausharren müßten, würden Sie verblöden!

Gut, ich stelle mir vor, ich bin 85, habe genügend Geld für die Straßenbahn in die Innenstadt. Und dann? Da rennen doch nur Leute rum, die einkaufen wollen.

Das ist ein ernstes Problem. Deswegen habe ich auch mit Entsetzen gehört, daß die Überlegung, eine großzügig ausgestattete neue zentrale Stadtbibiliothek am Bahnhof zu bauen, aus Kostengründen offenbar völlig fallengelassen worden ist. Ein großes Buch- und Medienzentrum am Bahnhof würde Zehntausende anziehen, im Alter haben Menschen ja oft einen hohen Bildungsstand.

Nochmal aus der Stadt zurück ins Wohnviertel – bei den einstigen Neubaugebieten ist ja das Problem, daß die alle gleichzeitig mit jungen Familien belegt worden sind, die jetzt alle gleichzeitig alt werden – was langweilig ist. Achtet die Gewoba auf eine altersmäßige Durchmischung?

Man versucht, bei der Vermietung so weit wie möglich zu mischen – jung, alt, Inland, Ausland, wohlhabend, weniger wohlhabend ... Auch wenn damit manchmal in den Hochäusern Konflikte verbunden sind. Konflikte sind ja aber Leben. Außerdem versuchen wir, bei Überalterung eine Wohnsiedlung zu ergänzen um altengerechte Wohnungen, damit die Alten umziehen und junge Familien in deren alte, größere Wohnungen nachziehen können.

Wo ist die Mischung geglückt?

Zum Beispiel in Kirchhuchting an der Kirchhuchtinger Landstraße durch eine Anlage mit über 50 altengerechten Wohnungen. Auch in der Gartenstadt Vahr wurden 1994 altengerechte Wohnungen fertig.

Und welche Quartiere sind noch „sortiert“?

Überalterte Bevölkerungsstrukturen haben wir in den Gebieten, die in den 50er und 60er Jahren gebaut worden sind, weil da diese Belegungsmechanik, die Sie angesprochen haben, stattgefunden hat. Dort liegt der Anteil der Über-65-Jährigen zwischen 40 und 45 Prozent. Das ist zum Beispiel die Gartenstadt, Gebiete in Gröpelingen, ein Teil der Neuen Vahr, Gebiete am Buntentor, Huckelriede, im nördlichen Schwachhausen und in Huchting.

Und wo lebt man durchmischt?

Von der Altersstruktur her in Teilen von Tenever, Blockdiek und Kattenturm. Sowieso in den Altbaugebieten aus der Gründerzeit und der Vorkriegszeit.

Nun kann man die Leute zwar mischen, aber reden die dann auch miteinander? Womit wir beim Thema Alterseinsamkeit wären. Da habe ich gehört, daß Sie mal einem ganzen Stadtteil das Wasser abstellen wollten!

Es gibt ja die Erfahrung, daß Leute, denen es gut geht, sich eher zurückziehen und alleine ihr Glück genießen – dann aber nicht mehr glücklich sind, weil sie einsam sind, aber den Weg raus nicht finden. In dem Augenblick jedoch, wo eine gemeinsame Bedrängnis auftritt, finden sie zusammen. Die Bremer schwärmen noch heute von dem Schneewinter 1979, als alle Straßen dichtgeschneit waren: Plötzlich standen alle Nachbarn gemeinsam draußen und haben mit viel Spaß und mit Glühwein und Flax ihre Straßen freigeschaufelt. Da sind Straßenfest-Traditionen entstanden, die zum Teil bis heute reichen. Als ich in Kiel-Mettenhof so einen Stadtteil vorfand, der diese seltsame Vereinsamung, obwohl dicht besiedelt, zeigte, da hab' ich erwogen, einfach einen Lautsprecherwagen durch die Straße zu schicken: „Leute, um elf Uhr wird das Wasser für drei Tage abgestellt. Verseht Euch noch mit genügend Wasser.“ Und dann würden die Leute aus den Häusern kommen und zu den Hydranten rennen, sich gegenseitig helfen und schimpfen und würden also innerhalb von Minuten zusammenfinden.

Das haben Sie aber dann nicht gemacht?

Ich hab' mich nicht getraut.

Fragen: Christine Holch