Das lange Warten auf den Neuen

■ Ein Blick zurück nach vorn, mitten in der Konzertsaison

Das Wichtigste: die hohe Wahrscheinlichkeit, daß die Stelle des Generalmusikdirektors zum Sommer besetzt werden kann, bestätigen die vier beteiligten Gruppierungen (senatorische Behörde, Philharmonische Gesellschaft, Theater, Orchester) in einer auffälligen Harmonie, man habe eine zufriedenstellende Bewerbungslage. Der schnelle Termin ist eher spektisch zu sehen, aber alle bestätigen die Flexibilität der Planungssituation. Und das muß ja nun auch sein nach so viel Mißgeschick.

Zur Erinnerung: da war der mit Tobias Richter verpflichtete Pinchas Steinberg, der stets sein Engagement in Bremen unter seiner Würde fand und selten zu sehen war, dann Marcello Viotti, der nach großen Tönen noch weniger da war, dann der Rückzug aller neuen Bewerber, als Hansgünther Heyme zurücktrat und nun der Neuanlauf mit Klaus Pierwoß. Zu dessen Zeit sagte Friedemann Layer wieder ab und zuletzt der junge Markus Stenz, der vor seinem Vertrag „überhöhte Forderungen“ (Pierwoß) stellte, vielleicht auch einfach „Angst bekam“ (Trüpel). Wie dem auch sei, Stenz hatte zur Bedingung die Autonomisierung des Musiktheaters gemacht, was sicher ein Punkt für jeden BewerberIn werden wird.

Aber es soll hier nicht um Kulturpolitik gehen, sondern um eine rein qualitative Situierung, die natürlich engstens verquickt ist mit dem künstlerischen Output. Das Operntheater war mit dem Weggang von Heyme so heruntergekommen, daß es von den BremerInnen kaum noch wahrgenommen wurde; tage-, auch wochenlang stand das Theater leer. Der Marathon, den Klaus Pierwoß mit seinem Ensemble leistete, ist auch in der Oper zu erleben, dies hauptsächlich durch künstlerisch hoch ambitionierte Arbeit des Dramaturgen Dietmar Schwarz.

Lassen wir die anfängliche Verschnupftheit des Ensembles und des Publikums über den fehlenden Verdi, Puccini und Mozart einmal beiseite, zeigt sich ebenso Originalität wie Einsatz für das zeitgenössische Musiktheater: drei Produktionen allein in dieser Spielzeit ist eine bewundernswerte kulturpolitische Setzung. Hier ist zu erwarten: Alfred Schnittkes „Leben mit einem Idioten“ und „Drei Wasserspiele“ des Henze-Schülers Detlef Glanert. Nach „Hoffmanns Erzählungen“ und „Jenufa“ wird hoffentlich der Regisseur Christopher Loy dafür sorgen, daß Ponchiellis „La Gioconda“ nicht Kulinarisches von gestern wird. Und dann gibt's im Concordia noch „Anatevka“.

Im Orchester selbst ist die künstlerische Potenz und natürlich auch die Motivation mit vielen wichtigen Neuengagements, allen voran der neuen Konzertmeisterin Anette Behhr-König, gewachsen: das Orchester hat außer der Opernarbeit ja hauptsächlich die Philharmonischen Konzerte zu leisten. Frust bedingte Qualitätsschwund, der wiederum führte zu einem dramatischen Abonnementennachlaß: Der Blick auf die sieben Konzerte bis zum Sommer zeigt ebenso Abgestandenes wie Aufsehenerregendes, Brittens „War Requiem“ dürfte zu letzterem zählen.

Die Dirigenten werden sich Mühe geben müssen, mit der interpretatorischen Qualität der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen konkurrieren zu können, denn die Konkurrenz im Repertoire ist nicht mehr nötig: der Blick auf das Jahresprogramm der Kammerphilharmonie ist mehr als enttäuschend. Der älteste Komponist ist Beethoven und die Musik des 20. Jahrhunderts ist alibihaft und halbherzig, fast unauffällig vertreten. Welche Auswirkungen das von der ursprünglichen Orchesterkonzeption her fragwürdige Engagement eines für drei Jahre festen Leiters – Thomas Hengelbrock – weiter hat, bleibt abzuwarten. An der Prägung durch die Sponsoren bis hin zum Festkonzert für Jacobs Suchard ist auch nicht ganz vorbeizusehen.

Zu beobachten wird die Initiative einiger MusikerInnen der Kammerphilharmonie sein, die im KITO in Vegesack sieben Kammerkonzerte in unterschiedlichen Besetzungen anbieten. Durch die Professur von Martin Fischer-Dieskau wird auch das Hochschulorchester ein Wörtchen mitzureden haben, allerdings auch hier keines in älterer und neuerer Musik.

Bisher und weiterhin interessant sind Qualität und Repertoire der Philharmonischen Kammerkonzerte, die Macher werden sich um Verjüngung des Publikums nur in Verpackung und Präsentation ein wenig mühen müssen: ein Workshop in der Galerie Katrin Rabus ist da eine gute, schon einmal erprobte Idee.

Radio Bremen bietet im März das zweijährliche „Pro Musica Antiqua“, vielleicht ist die Idee, ein „Internationales Spielleutreff“ als mittelalterliches Spektakel in einem Zelt auf dem Brommyplatz zu gestalten, eine gute Alternative zu der sonstigen konzeptionellen Hilflosigkeit. Im Januar toben sich im Sendesaal fünf junge Pianisten „Auf schwarzen und auf weißen Tasten“ aus, leider wieder nur mit zwar großer Klaviermusik, aber einfallslosen Programmen. Die Konzerte des Bremer Podiums, in denen immer ein zeitgenössischer Komponist in Gespräch und Konzert vorgestellt wird, erfreuen sich zu Recht immer größeren Zuspruchs.

Neue Musik: meist erste Sahne im Kito Vegesack und meist auch bei Dacapo, bei denen jetzt allerdings alles gemacht wird, „was gut ist“ und dadurch auch einiges, was nicht ganz so gut ist wie der vergangene Beethovenzyklus. Und es bleibt Ansichtssache, mit welchen Kriterien man ein geplantes Alphornblasen im Weserstadion belegen will. Dacapo gewinnt den Spielort Überseemuseum dazu, arrangiert im Mai so urige Sachen wie das Ensemble „Bowed Piano“ aus Arizona, in dem acht Pianisten einen Flügel ausschließlich „streichen“.

Ute Schalz-Laurenze