Berlin zur Solarhauptstadt machen

■ Interview mit Franziska Eichstädt-Bohlig, bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete und Bauexpertin: Regierungsumzug sofort beginnen und Planungen radikal abspecken / Schutzinstrumente gegen Spekulation

Franziska Eichstädt-Bohlig ist Architektin und Stadtplanerin. Sie arbeitete als Geschäftsführerin des alternativen Sanierungsträgers „Stadtbau“ und war Baustadträtin im Bezirk Kreuzberg. Mitte Oktober dieses Jahres wurde sie als Berliner Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag gewählt. Eichstädt-Bohlig ist die bau- und wohnungspolitische Sprecherin der Fraktion.

taz: Wie wollen die Grünen den Umzug von Bonn nach Berlin?

Franziska Eichstädt-Bohlig: Ich bin für einen sofort beginnenden Umzug, bei dem die vorhandenen Altbauten mit bescheidenen Mitteln gebrauchsfähig gemacht werden und nicht ständig der Gesamtumbau als Voraussetzung eines Umzugs steht. Wo gebaut werden muß, soll das auf ökologischer Grundlage passieren mit dem Ziel, Berlin zur Solarhauptstadt zu machen. Dann wäre man im Jahre 2000 im wesentlichen fertig mit dem Umzug. Wer aber erst 1998 beginnt, ist mit dem Umzug nicht vor 2002 fertig.

Was konkret muß am Umzugs- fahrplan verändert werden?

Es ist gut, daß Bundesbauminister Töpfer das Ziel eines schnellen Umzugs klar benannt hat. Es setzt voraus, auf Perfektionsansprüche zu verzichten. Problematisch bleibt die Gebäudeplanung. Braucht der Bundeskanzler wirklich eine Staatskanzlei, die als Hyperministerium mit 500 Beamten über allen anderen Ministerien regiert? Ich zweifle auch daran, daß der Bundestag eine so riesige Anlage braucht mit Reichstag, Alsen-, Dorotheen- und Luisenblock. Das wäre noch einmal zu überdenken. Auch der Plenarsaal im Reichstag ist, so wie er ist, sehr schön — und groß genug. Wozu brauchen wir 670 Abgeordnete? Einhundert Abgeordnete weniger — das reicht, und der Saal auch.

Der englische Architekt Norman Foster hat mit dem Reichstag andere Pläne — auch ökologische.

Foster will durch eine totale Entkernung ökologische und energetische Ziele ereichen. Das könnte man auch mit viel bescheideneren Mitteln erreichen. Was Foster macht, ist Sensations-Ökologie.

Sie fordern: Alles eine Nummer kleiner?

In allen Bereichen kann und muß abgespeckt werden. Alleine dies würde eine deutliche Beschleunigung des Umzugs bringen. Außerdem bin ich der Meinung, daß der Wechsel vom Rhein an die Spree nicht auf Knopfdruck passieren muß, sondern schrittweise beginnen sollte. Warum sollte nicht das Bauministerium jetzt schon umziehen, um hier diese Arbeit zu machen? Kommunikationstechnisch ist das kein Problem, die Verbindung nach Bonn zu halten.

Auch in Bonn ist ja diese Art von Vernunft angekommen, keinen Stichtagsumzug zu machen.

Das ist richtig. Die Planungen aber werden tatsächlich verzögert. Es gilt das Motto: Bloß nicht zu früh anfangen, damit wir dann nicht leerstehende Räume in Berlin haben.

Stehen den Regierungsplanungen nicht auch die Verkehrsplanungen im Wege?

Einen geänderten Fahrplan muß man auch auf die Verkehrsplanung beziehen, die so etwas wie das Nadelöhr ist. Die Verkehrsplanung ist total überdimensioniert, die Verkehrswege sind falsch gelegt. Die Tunnelplanungen müßten gestrichen werden. Sie sind auch bei der Terminplanung des Bundes und des Landes Berlin nicht zu schaffen.

Die Tunnelplanung ist inzwischen ziemlich weit gediehen.

Wir werden versuchen, dieses Paket noch einmal aufzuschnüren. Ich habe im Bundestag beantragt, auf den Bau des Lehrter Bahnhofs sowie des Auto- und Eisenbahntunnels zu verzichten. Ein Verzicht könnte den Raum freimachen für eine überirdische Bauplanung.

Fürchten Sie, daß das geplante Regierungsviertel einen sozialen Strukturwandel mit sich bringt?

Wir müssen gegen die erlaubte und provozierte Spekulation angehen, die mit dem Umzug einhergeht: die Verdrängung im Gewerbebereich, die Umwandlung von Wohnungen. Das ist doch absurd. Die Bundesregierung hat ihre Bereiche abgesteckt, in denen Grundstückspreise eingefroren sind. Angrenzend an diese Flächen aber werden die Bewohner zum Opfer der Spekulation. Im städtebaulichen Bereich muß es einen finanziellen Ausgleich für den Aufbau einer Infrastruktur geben, vom Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs bis hin zu Ausgleichsflächen für Sport und Freizeit. Wir brauchen Schutzinstrumente geben spekulative Prozesse. Momentan ist der Milieuschutz das einzige, was Berlin selber machen kann, wobei dieses eher schwache Instrument keinen Schutz für das Gewerbe ermöglicht und auch keine Eigentums-Umwandlungen verhindert. Ich sehe mit Sorge, daß die Bundesregierung das spekulationsauslösende Fördergebietsgesetz bis 1998 verlängern will. Das bedeutet, daß der mit Steueranreizen unterstützte Spekulationsdruck in Berlin weitergehen wird. Wir müsen deutlich machen, daß man nicht einfach nach Berlin umziehen kann nach dem Motto, sollen die Berliner doch sehen, wo sie bleiben.

Nun heizt die Stadt ja selbst den Spekulationsdruck noch an. Etwa durch den Verkauf kommunaler Wohnungen. Vielfach wird behauptet, wir könnten uns den sozialen Wohnungsbau nicht mehr leisten. Was muß getan werden?

Was man an Beständen hat und an sozialen Trägern, darf man nicht der Marktwirtschaft übereignen. Wer mehr Privatisierung von städtischen Wohnungen fordert, betreibt eine Haushaltssanierung mit einem positiven wohnungspolitischen Instrument. Das ist ein falscher Weg. Bei der Debatte über eine sogenannte Reform des sozialen Wohnungsbaus wird so getan, als ginge es um den Neubau. Dabei geht es um den Bestand: Das sind bei den ehemals gemeinnützigen und städtischen und genossenschaftlichen Unternehmen bundesweit sieben Millionen, in Berlin 900.000 Wohnungen. Das Ziel muß ein gemeinwirtschaftlicher Sektor sein, bei dem es um Selbstversorgung und Wirtschaftskreisläufe mit sozialer Bindung geht.

All das ist in den letzten zwanzig Jahren heruntergewirtschaftet worden und dient nun als Beleg, daß sozialer Wohnungsbau am Ende sei.

Weil es heruntergewirtschaftet worden ist, schüttet man jetzt das Kind mit dem Bade aus. Das ist absurd. Wir müssen statt dessen wieder an den alten Zielen eines gebundenen Wohnungsbestands anknüpfen. Das wäre freilich eine völlige Umkehr der Denkweise, die jetzt politisch „in“ ist.

Wie könnte ein städtisches Neubauprogramm finanziert werden?

Die Grünen haben früher sehr stark an den kommunalen Wohnungsbau geglaubt. Ich dagegen habe gesagt, das schaffen die Kommunen finanziell nicht. Eine sozial verantwortliche Wohnungswirtschaft muß rechtlich von den Kommunen abgekoppelt sein und einen eigenen Wirtschaftszyklus haben. Die Kommunen können Gesellschafter sein. In dem Moment, wo man klar definierte Träger hätte, finde ich es richtig und wichtig, das Instrument des Steuervorteils zu nutzen. Da können wir durchaus an die Berlin-Darlehen anknüpfen. Die vielen Leute, die überschüssiges Geld vor der Steuer schützen wollen, sollen ihr Geld dann solchen Gesellschaften zinsgünstig leihen für Erneuerung und Neubau. Das funktioniert ähnlich dem geltenden Fördergebietsgesetz, nur bekommt man die Steuervorteile dann nicht für Luxuswohnungsbau oder für leerstehende Spekulationsobjekte, sondern gezielt für gemeinnützigen und sozialgebundenen Wohnungsbau.

Steuerersparnisse zu propagieren, das ist für Grüne neu.

Die Grünen haben das intensiv diskutiert, und es gibt immer noch einige, die das für die Sünde schlechthin halten. Ich bin der Meinung, daß wir vor allem im Osten für den Wohnungsbestand und den Neubau viel Geld brauchen, daß es ohne Privatkapital eben nicht geht. Deswegen kommen wir nicht darum herum, diese heilige Kuh nicht so heilig zu halten und Steuervorteile zur Aktivierung von Kapital zu nutzen. Man soll sie nur sozial und auch ökologisch mit entsprechenden Bindungen versehen und nicht so beliebig machen, wie es derzeit passiert.

Interview: Rolf Lautenschläger/ Gerd Nowakowski