Tausendundein Kilometer

Reise in den Oman aus Frauensicht. Das Straßenbild im östlichsten Staat der arabischen Halbinsel wirkt wie das Treffen der Vereinten Nationen. Der Ölreichtum dient vor allem zum Aufbau eines modernen Sozialstaats  ■ Von Gisela Frese

Neben mir raschelt die schwarze Seide von Fatimas Abaya. Tief verschleiert sitzt sie neben mir. Tausendundeinen Kilometer, oder etwas mehr, sitzen wir nebeneinander im Flugzeug und kommen vorsichtig ins Gespräch. Unser Flug führt uns von Muskat, der Hauptstadt, nach Salalah im Dhofar-Gebiet des Oman, in Fatimas Heimatstadt. Erst als sie sicher ist, daß der neben ihr sitzende Vater nichts gegen unsere Unterhaltung einwendet, legt sie ihre Zurückhaltung ab und plaudert ausführlich mit mir. Wir unterhalten uns auf arabisch, das ich bei meiner Arbeit als Entwicklungshelferin mit jemenitischen Frauen gelernt habe. Sie interessiert sich für unsere Lebensweise und das Leben der Frauen im Jemen. Ich möchte mir gerne vorstellen können, wie sich omanische Frauen fühlen und wie sich ihr Leben durch den Ölreichtum und das Entwicklungsprogramm des Sultans Quabus verbessert hat. Dieser setzte im Konflikt um die Dhofar-Provinz, vor etwa zwanzig Jahren, kurzerhand seinen erzkonservativen Vater ab und übernahm mit britischer Unterstützung die Staatsführung. Aus mittelalterlicher Lebensweise katapultierte er das Land rasant mit Hilfe der Ölverdienste in einen modernen Sozialstaat.

Während Fatima mit mir spricht, hat sie eine Lage ihres doppelten Gesichtsschleiers zurückgeschlagen, so daß ich ihre Gesichtszüge sehr gut erkennen kann, die hinter uns sitzenden Männer allerdings nicht. Ein zarter Duft von süßem orientalischem Parfüm zieht zu mir herüber, während wir vertraut wie alte Freundinnen die Köpfe zusammenstecken und eine leise Unterhaltung führen. Wir sind beide Frauen, und das alleine verbindet uns aus arabischer Sicht. Durch das schwarze Gesichtstuch schimmern rote Lippen, geschminkte dunkle Augen und glitzernder Goldschmuck, der auch ihre Hände und Unterarme bedeckt. Sie ist schön. Früher durften die Frauen des Oman nicht alleine auf die Suks (Märkte) gehen zum Einkaufen und waren größtenteils ungebildet, erzählt sie. Seit Sultan Quabus auf dem Diwan sitzt, änderte sich auch für die Frauen vieles zum Besseren. Sie wären heute grundsätzlich frei, sich zu bewegen. Sie selbst als verlobtes junges Mädchen müsse allerdings vorsichtig sein, um ihren Ruf zu schützen. Sie würde nicht allein auf einen Suk gehen, jedoch in Begleitung ihrer Mutter, eines Bruders oder anderer verheirateter Frauen wäre es kein Problem. In zwei Monaten, nach ihrer Hochzeit, habe sich das schon wieder etwas geändert, und mit eigenen Kindern oder als ältere Frau wachse die Bewegungsfreiheit immens, so daß sie dann sogar allein einkaufen gehen könne. Für den Lebensmitteleinkauf sind jedoch immer noch traditionell die Männer zuständig. Eine Arbeitsteilung, die sich die Omanifrauen gern gefallen lassen.

Das Mädchen fragt mich nach meinem Namen, und so erfahre ich auch, leise geflüstert, daß sie Fatima heißt. Der Name einer Frau darf in der Öffentlichkeit nicht genannt werden. Im arabischen Telefonbuch des Oman, das nach Vornamen geordnet ist, finde ich keinen arabischen Frauennamen. Gerade hat sie ihr Abitur abgeschlossen, ist ungefähr 18 Jahre alt und hofft, daß sie nach ihrer Heirat eine Ausbildung zur Erzieherin in einem Kindergarten oder ein Studium zur Grundschullehrerin machen darf. „Andere Berufe können wir in Salalah leider noch nicht ergreifen“, meint sie, „aber früher war es den Frauen gar nicht erlaubt, außer Haus zu arbeiten. Nur in der Hauptstadt Muskat sind Frauen auch schon in anderen Berufen tätig.“ In den Stadtplänen des Oman fallen überall zahlreiche Mädchenschulen auf, die erst in den letzten zwanzig Jahren entstanden sind. Jedes Bergdorf verfügt über Mädchen- und Jungenschulen, ein Fußballstadion, eine Klinik.

Im Oman bereichert der Ölreichtum nicht so kraß einzelne Menschen, sondern den Staat, der das Geld für ein funktionierendes Sozialwesen im Stil einer Großfamilie und für eine gut ausgebaute Infrastruktur einsetzt. Sozialhilfeempfänger erhalten zum Beispiel aus dem Ölreichtum für die Großfamilie ein neues Eigenheim als Geschenk. Ihren Besitz müssen sie jedoch dann aus eigener Kraft instand halten. Der soziale Wohnungsbau ist dem altarabischen Baustil nachempfunden und ausgesprochen schön. Wer sich mit einem Betrieb selbständig machen möchte oder ein eigenes Haus kauft, erhält günstige Darlehen der Regierung. Sollte ein Ehemann sterben, bevor sein Darlehen zurückgezahlt ist, wird es der Ehefrau mit kleinen Kindern einfach erlassen. In jeder Hinsicht wird versucht die Infrastruktur auszubauen, so daß sie im Falle nachlassender Öleinnahmen in wesentlichen Ansätzen verfügbar ist. Im Oman entsteht selbst auf der Stadtautobahn der Eindruck, im Wohnzimmer des Sultans zu sein. Alles ist verziert und ausgeschmückt. Blumenbeete entlang der gesamten Innenstadtstrecke werden täglich von pakistanischen Arbeitern gepflegt und gewässert. Dahinter beginnt die Wüste. Eine Meerwasserentsalzungsanlage ist bereits in Planung, um das fossile Grundwasser zu sparen. Vom Sozialsystem des Sultans Quabus profitieren selbst die ärmsten ehemaligen Beduinen der Berge, und auch Fatima, die junge Braut.

Während wir über Kinderlosigkeit sprechen, spüre ich ihre Spannung vor der Hochzeit und vor dem von den Eltern ausgewählten Bräutigam. Dabei zählt in erster Linie der soziale Stand der zukünftigen Schwiegerfamilie, und eine wesentliche Pflicht Fatimas, als Gegenleistung für das Brautgeld, wird es sein, die Familie mit Kindern zu bereichern. Von sich aus spricht sie die Verschleierung an, fast, als müsse sie sich deshalb entschuldigen: „In Muskat hast du die omanischen Frauen sicher ohne Schleier gesehen“, beginnt sie, „ich komme jedoch aus Salalah, und wir haben eine traditionelle Stammesgesellschaft, in der wir Frauen uns noch verschleiern.“ Im allgemeinen Leben wäre es bei ihnen wie in Muskat, aber zu allen großen Festen kämen die Stämme zusammen. Sie feiern traditionell mit Tänzen und Musik und natürlich in traditioneller Kleidung, die im Oman auch für die Männer sehr verbreitet ist. Ich sehe kaum omanische Männer in europäischer Kleidung, schließlich ist es hier im Sommer bis zu 50 Grad Celsius.

Fatima bedauert, daß ich nicht zu ihrer Hochzeit im Lande bin. Drei Tage wird gefeiert. Davon an einem Tag nur unter Frauen und an einem anderen Tag nur unter Männern. Nach der Hochzeitsnacht kommt dann noch einmal in beiden Elternhäusern viel Besuch. Vor der Hochzeit erhält die Braut in einem Salon Hennaverzierungen an Händen, Armen und Füßen. Ausführlich beschreibt mir Fatima den Goldschmuck einer Braut, den ich mir nur vorstellen kann, weil ich in den zahlreichen Goldläden der Städte bereits Ausstellungsstücke gesehen habe. Für viele Körperteile gibt es extra Goldschmuck. Eine Brautkrone aus Gold für den Kopf, ein Stirnband, Fußreifen oder -ketten, Halskolliers, die großen Raum im Dekolleté einnehmen, zahlreiche Armbänder und Ringe und schließlich noch ein die Handoberfläche zart bedeckendes Schmuckstück. Es ist an jedem Finger und am Handgelenk befestigt und überzieht die Hand mit Gold, wie ein Spitzenhandschuh, oder die Hennabemalung darunter. Alles aus 22 Karat (925er) Gold, das man bei uns gar nicht kaufen kann. Ein bißchen erinnern manche Armbänder an Handschellen und sind sicher goldene Relikte aus der Zeit, als ein Araber noch so viele Sklavinnen, wie er wollte, zu seinen vier Frauen dazuheiraten konnte. Geblieben ist die Vorliebe der Frauen zu Goldschmuck, der einen Teil des Brautpreises und der täglichen Kleidung ausmacht. In jeder Stadt gibt es mindestens eine Straße, in der jeweils zwischen zehn und dreißig Goldhändler in kleinen Räumen, in der Größe unserer Bäckerläden, nebeneinander ihre glänzenden Waren feilbieten. Große Spiegel und Strahler vergrößern optisch die eng mit Goldschmuck behängten Räume, in denen sich dicht an dicht die Kundinnen aus dem Oman oder aus Indien, Sri Lanka, von den Philippinen oder selten aus Europa drängen. Die meisten Touristinnen aus Europa können dem orientalischen Goldschmuck wenig abgewinnen. Das reine Gold hat für sie eine subjektiv unecht wirkende Farbe, weil sie nur an Goldverschnitte von bestenfalls 585er oder 750er Gold gewöhnt sind. Hier gibt es diese gar nicht zu kaufen. Es müssen mindestens 875er- oder 925er-Goldwerte sein, also fast reines Gold, das nur geringfügig über dem internationalen Barrenpreis verkauft wird (ca. 25 DM pro Gramm). Im Schmuckladen steht eine Feingoldwaage, und jedes Schmuckstück wird gewogen, mit dem Taschenrechner kalkuliert und dann der Preis in arabischer Manier ausgehandelt. Im Unterschied zu Europa, wo handwerklich fein verarbeitetes Gold mit niedrigen Karatzahlen verkauft wird, bieten die Händler im Oman hochwertiges Gold an, das zumeist industriell einfach verarbeitet wurde. Die Frauen suchen sich den Schmuck gern selbst aus, aber irgendwo auf einer Bank sitzt der Mann, der den Preis zu bezahlen hat. Bald wird auch Fatima mit diesen Pretiosen überhäuft werden, und ihre Augen strahlen bereits jetzt, während sie mir den Schmuck beschreibt.

Wäre sie verheiratet, könnte sie mich in ihr Haus einladen, aber als unverheiratetes Mädchen hätte sie kein Recht, eine Einladung auszusprechen. Altarabische Gastfreundschaft erfahren europäische Besucher immer wieder. Das ist genauso Bestandteil der Kultur wie die Abgrenzung gegenüber den vielen Beschäftigten aus armen Ländern, die nach meiner Beobachtung eher den früheren Sklaven entsprechend behandelt werden. Fast alle Tätigkeiten mit geringem Prestige werden von ausländischen Arbeitskräften ausgeführt. Im Oman wirkt das Straßenbild wie ein Treffen der Vereinten Nationen. Auch meine neue Freundin hatte einige Jahre Unterricht bei einer Lehrerin aus Sri Lanka, äußert sich jedoch abwertend über deren Qualifikation. Schließlich landet unser Flugzeug in Salalah, wo mich ein traumhafter Strand erwartet. Fatima und ich reichen uns die Hand zum Abschied. Wir sind ein wenig traurig, daß unsere kurze Freundschaft schon zu Ende ist. Auf dem Flughafen sehe ich sie mit ihrem Vater verschwinden. Ich erkenne sie nur noch an ihren Schuhen und dem Handschmuck unter den anderen schwarzverschleierten Frauen, die mit Männern und Kindern das Flugzeug verlassen.