Die Telekom startet durch

Weltkonzern mit Monopolgeschäft zu Hause: Die ehemalige Bundesbehörde holt 1995 neues Kapital an der Börse / Volksaktie der neuziger Jahre?  ■ Von Christian Rath

„Reine Formsache“ sei die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Das behauptet die Telekom in einem Informationsblatt, das der jüngsten Telefonrechnung beiliegt. Eine Untertreibung: Unter dem magentaroten „T“ steht der ehemaligen Bundesbehörde eine Zukunft als Weltkonzern bevor.

Begonnen hatte die eigenständige Geschichte der Telekom im Jahr 1988. In der ersten Postreform setzte der damalige Minister Schwarz-Schilling die Auftrennung der Bundespost in drei unabhängig wirtschaftende staatliche Unternehmen durch: Telekom, Postbank und Postdienst. Eine Verfassungsänderung räumte 1994 den Weg frei zur zweiten Postreform, der Umwandlung der Postunternehmen in Aktiengesellschaften.

Vor allem die Telekom benötigt frisches Kapital. Bei einem Umsatz von 56 Milliarden Mark pro Jahr fließen heute allein sieben Milliarden Mark in Zinsen für Kredite. Manche halten den Börsengang für „die weltweit größte Privatisierungsmaßnahme“. Doch sie ist unvollständig. Der Staat behält bis zur Jahrtausendwende seine Anteile. An die Börse gehen nur Aktien aus einer Kapitalerhöhung, an der sich der Bund nicht beteiligen darf. Laut Postreform II kann das Eigenkapital der Telekom bis 1999 von derzeit zehn Milliarden Mark um maximal fünf Milliarden erhöht werden.

Solche Aktienpakete könnte der Markt auf einmal gar nicht verkraften. Deshalb sollen 1996 vorerst nur Anteilsscheine im Nennwert von 2,5 Milliarden Mark unters Volk gebracht werden. Damit will man Einnahmen von 15 Milliarden Mark erzielen. Ein Konsortium von 22 Kreditinstituten unter Führung der Deutschen Bank soll die Wertpapiere in der Bundesrepublik, Resteuropa, den USA und Asien vermarkten. 1998 wird eine zweite Emission folgen.

In Deutschland soll das Papier „Volksaktie der neunziger Jahre“ werden, das neue Bevölkerungskreise fürs Aktiensparen gewinnt. Als Einstiegsgeschenk winkt die Telekom mit einer Bonus-Telefonkarte. Doch den Postminister Wolfgang Bötsch bringt soviel Symbolik in eine Zwickmühle. Eigentlich lautet sein Credo „soviel Wettbewerb wie möglich“. Telekom-Aufsichtsratsvorsitzender Rolf-Dieter Leister und der überraschend ausgeschiedene Vorstandschef Helmut Ricke warnten dagegen vor allzu forscher Aufgabe des Monopolgeschäfts. Taktisch klug beschworen sie die Gefahren: Wird die Telekomaktie unattraktiv, gefährdet das den Finanzplatz Deutschland.

Gut für Bötsch, daß sich die EU im November auf eine einheitliche Linie bei der weiteren Liberalisierung geeinigt hat. Die Monopole für Sprachübertragung und Leitungsnetze sollen erst 1998 fallen. Auf seinen angedrohten nationalen Alleingang kann Bötsch verzichten. Energieversorger und Deutsche Bahn wollten schon vor 1998 ihre betriebseigenen Kommunikationsnetze für Dritte öffnen. Wie ein Sprecher des Postministeriums versichert, können sie nur unter einer Bedingung noch vor 1998 zum Zuge kommen: „Sie müssen nachweisen, daß sie etwas vollkommen Neues bieten.“

Davon ist nichts zu sehen, und die Telekom schläft nicht. Die Preise für Mietleitungen werden zum Jahreswechsel um bis zu 50 Prozent gesenkt. Das unternehmerische Tempo läßt die möglichen Konkurrenzfirmen fürchten, ob sie bis zum Stichjahr 1988 durchhalten können. An der ungarischen Telefongesellschaft ist die Telekom schon jetzt mit 15 Prozent beteiligt, in Rußland wird gemeinsam mit France Telekom das Projekt „50 * 50“ verhandelt (50.000 Kilometer Netz für 50 russische Städte), um die Modernisierung des tschechischen Netzes hat man sich schon beworben, in Polen, der Slowakei den baltischen Staaten wird man, sobald es zu offiziellen Ausschreibungen kommt, mitbieten. Neben der geographischen Nähe hat die Telekom einen zentralen Vorteil: Beim Aufbau des ostdeutschen Telefonnetzes hat sie einschlägige Erfahrungen gesammelt.

Strategische Allianzen bestehen mit der französischen Monopol- Schwester France Telecom und dem US-Telefon-Konzern Sprint (US-Marktanteil zehn Prozent). Ein Partner im asiatischen Raum wird noch gesucht.

Außerhalb des Telefongeschäfts mischt die Telekom in den Wachstumsmärkten der neuen Medien mit. So soll eine eigene Softwaretochter gegründet werden. Unter dem Stichwort „Multi- Media“ will die Telekom nicht nur den „Busineß-Bereich“ (geschäftlicher Datenaustausch, Videokonferenzen) erschließen, sondern auch am privaten Konsum mitverdienen, wenn es um interaktives Fernsehen, Teleshopping und Pay-TV geht. Da als Folge neuer Techniken zur Datenkompression demnächst rund 300 Fernsehprogramme parallel angeboten werden können, dürfte auch in Deutschland der private Rundfunk zur „Pay per view“-Finanzierung übergehen. Noch nicht aufgegeben hat die Telekom deshalb ihre Pläne, eine Pay-TV-Service- Gesellschaft zu gründen, die den ProgrammanbieterInnen Technik, Organisation und Abrechnungssysteme zur Verfügung stellt. Ein erster Versuch im Verbund mit Bertelsmann und Filmhändler Kirch war von der EU-Kommission aus kartellrechtlichen Gründen gestoppt worden. Glatt durch ging dagegen die 17prozentige Beteiligung am Kapital des Rundfunksatelliten Astra.