Mord im Namen des Fötus

■ In den USA erschoß ein Fanatiker zwei Mitarbeiterinnen von Frauenkliniken und verletzte fünf Menschen / Sieben Morde seit 1993 / "Ein Klima, in dem der Terrorismus gedeiht"

Washington/Berlin (epd/wps/ taz) – Auch der fortschrittlichste Präsident im Weißen Haus und das liberalste Verfassungsgericht können das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in den USA nicht gewährleisten, wenn keine Ärzte mehr da sind, die Abtreibungen durchführen. Darauf zielt die Kampagne militanter Abtreibungsgegner, die seit Jahren Blockadeaktionen gegen Kliniken durchführen und mit Einschüchterungskampagnen und Morddrohungen Ärzte und betroffenen Frauen unter Druck setzen. Aus diesem Umfeld gehen immer wieder sogenannte Einzeltäter hervor, die den von ihnen propagierten „Schutz des Lebens“ mit der Ermordung von MitarbeiterInnen von Abtreibungskliniken durchsetzen wollen. So auch am vergangenen Wochenende in Brookline bei Boston im US-amerikanischen Bundesstaat Massachusetts. Zwei Tote und fünf Verletzte, zwei davon schwer, sind die blutige Bilanz.

Der mutmaßliche Täter, der 22jährige Friseurlehrling John Salvi, wurde am Samstag in Norfolk, Virginia, festgenommen, nachdem er weitere Schüsse auf eine dortige Abtreibungsklinik abgegeben hatte. Von Bekannten wird er als Einzelgänger und überzeugter Katholik geschildert. Er habe in seinem Auto lange das Bild eines abgetriebenen Fötus mit sich geführt. Eine Angestellte einer der betroffenen Kliniken erklärte, die Beschreibung Salvis treffe auf einen Mann zu, der mehrmals vor der Klinik demonstriert habe.

Nach polizeilichen Angaben drang Salvi in Brookline in eine Klinik der Familienplanungsorganisation „Planned Parenthood“ ein und eröffnete das Feuer. Die 25jährige Angestellte Shannon Lowney wurde tödlich getroffen, eine Sozialarbeiterin und zwei freiwillige Helfer wurden verletzt. Anschließend ging der Todesschütze in die nahegelegene „Preterm Health Services“-Klinik, die ebenfalls Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. „Ist das Preterm?“, fragte er nach Augenzeugenberichten am Empfang. Als die Angestellte Leanna Nichols (38) bejahte, nahm er ein Gewehr aus seiner Tasche und feuerte fünf Kugeln auf die Frau, die sofort tot war. Zwei weitere Personen wurden verletzt.

Abtreibungsgegner in den USA haben in den Jahren 1993 und 1994 insgesamt fünf Personen ermordet. Die Täter sind der Ansicht, daß Mord „rechtmäßig“ sei, um „das Leben ungeborener Kinder zu retten.“ Im März 1993 erschoß der Abtreibungsgegner Michael Griffin den Frauenarzt David Gunn in Pensacola (Florida). Fünf Monate später verletzte eine Abtreibungsgegnerin in Kansas einen Arzt. Im Juli 1994 erschoß der frühere Pastor Paul Hill ebenfalls in Pensacola den Frauenarzt John Britton und dessen Leibwächter James Barrett. Griffin bekam lebenslange Haft, Hill wurde zum Tode verurteilt. Organisationen von Abtreibungsgegnern distanzierten sich von diesen Tätern. Der katholische Kardinal von Boston, Bernard Law, schlug am Wochenende vor, alle Proteste vor Abtreibungskliniken auszusetzen. Eine Sprecherin der Anti-Abtreibungsorganisation „Massachusetts Citizens for Life“ erklärte, sie trauere um die ermordeten Frauen.

Nach Angaben der Frauenorganisation „Feminist Majority Foundation“ wurden 1994 gegen die Hälfte der Kliniken, die Abtreibungen vornehmen, Gewalttaten verübt. In den meisten Fällen hätten Abtreibungsgegner Todesdrohungen ausgesprochen. Nach Ansicht der Präsidentin der „Nationalen Liga für das Recht auf Abtreibung“ haben Abtreibungsgegner ein Klima geschaffen, in dem Terrorismus gedeihe. Wer vor Kliniken „Babymörder“ rufe, könne nicht so tun, als sei er schockiert, wenn jemand so etwas tue wie in Brookline, sagte auch eine „Planned Parenthood“-Sprecherin.

US-Justizministerin Janet Reno hat vor kurzem Gewaltverbrechen gegen Kliniken, die Abtreibungen vornehmen, als „nationales Problem“ eingestuft. Sie ordnete an, daß die Bundespolizei besonders gefährdete Frauenkliniken bewachen solle. Die Kliniken in Brookline fielen nicht unter diese Kategorie, obwohl es zeitweise täglich Proteste vor den Einrichtungen gab. Das FBI untersucht gegenwärtig, ob es sich um Einzeltäter handelt oder ob es eine „Verschwörung“ gibt.