Abschied eines Unsterblichen

■ Bei seiner letzten Neujahrsrede verspricht Präsident François Mitterrand den Franzosen: Ich verlasse Sie nicht

Paris (taz) – „Changez la vie“ – das Leben ändern – lautete der Wahlspruch des siegreichen François Mitterrand, als er vor 14 Jahren in den Elysée-Palast einzog. Der erste sozialistische Präsident Frankreichs feierte seine Investitur umgeben von lateinamerikanischen Widerstandskämpfern und der Witwe Salvador Allendes. Seine Amtszeit wurde die längste der V. Republik. Er blieb zwei Legislaturperioden, arbeitete mit sozialistischen und konservativen Regierungen zusammen, ließ sich dieu – Gott – nennen, machte den Dialog als Führungsstil salonfähig und behielt doch stets alle Fäden der Macht in der Hand.

Jetzt, da François Mitterrand 78 ist, schwer krebskrank und kurz vor dem Ende seines Mandats, ist sein Thema das Jenseits geworden. „Ich glaube an die Kräfte des Geistes. Ich werde Sie nicht verlassen“, versicherte er den Franzosen am Samstag abend bei seiner letzten Neujahrsansprache als Präsident. Er werde auch seinem Nachfolger im nächsten Jahr bei der Neujahrsrede zuhören, ergänzte er: „Da, wo ich dann sein werde.“

Die Themen von Mitterrands Fernsehrede glichen denen der vorhergegangenen 13 Jahre: Europa, Frankreichs Zusammenhalt, seine Größe, die soziale Gerechtigkeit. Und doch war dieses Mal alles anders. Mitterand kündigte keine eigenen Projekte mehr an, er gab Empfehlungen an seinen Nachfolger, auch wenn der nach menschlichem Ermessen kein Sozialist sein wird, und Ermahnungen an das Volk, das ihm „so lange das Vertrauen gegeben hat“. „Die Größe Frankreichs kann nicht vom Aufbau Europas getrennt werden“, sagte er. Für den gestern begonnenen sechsmonatigen französischen Ratsvorsitz in der Europäischen Union bat er den Regierungschef, die „oft vernachlässigte Sozialpolitik“ nicht zu vergessen.

Die Geier haben längst Stellung vor dem Elysée bezogen. Die medizinischen Bulletins über Mitterrands Gesundheitszustand halten die Öffentlichkeit in Atem, ebenso wie die Spekulationen über politische Konsequenzen. Mitterrand selbst sagte zu den kursierenden Rücktrittsgerüchten nichts – „Ich kämpfe gegen die Krankheit“, hat er vor einigen Monaten im Fernsehen erklärt, „und ich gehe davon aus, daß ich gewinnen kann.“

Sein letzter Moment als Präsident kommt spätestens im Mai, wenn sein Nachfolger gewählt ist. Vorher bringt er Ordnung in sein öffentliches Leben, das immer noch viele Unbekannte birgt. Vor wenigen Monaten lieferte er selbst die entscheidenden Dokumente für ein Buch über seine zwielichtige Rolle im Vichy-Regime. Dann begann er seine uneheliche Tochter Mazarine, die gerade ihr Abitur gemacht hat und bislang abseits des Rampenlichts lebte, öffentlich auszuführen. Schließlich traf er sich mit dem Philosophen Jean Guitton, um über den Tod zu diskutieren.

Mitterrand nimmt Abschied. Und er bereitet seinen Einzug in die Geschichte vor. Der, der das Leben ändern wollte, will heute ein Unsterblicher werden. Dorothea Hahn