„Wollt ihr feiern oder Randale?“

Silvester am Sielwall: Wie ein grün-alternativer Viertel-Bürgermeister, Ladenbesitzer und die Polizeiführung die Bremer Krawalltradition beenden wollten und scheiterten  ■ Aus Bremen Klaus Wolschner

Silvester, Bremer Sielwall- Kreuzung – das steht für Krawall. Seit bald zehn Jahren, Jahr für Jahr: wie eine Fortsetzung der Freude am Knallen. Damit diese Tradition ein Ende finde, hatte der neue „Ortsamtsleiter“ des Viertels, der demonstrationserfahrene grün-alternative Robert Bücking, die Idee, ein großes Fest zu veranstalten. Einige engagierte Ladenbesitzer und die Polizeiführung unterstützten diese neue Deeskalationsstrategie. Gesagt, getan, am Silvesterabend wurde auf zwei Bühnen Musik gemacht, Verkaufsbuden boten Bier und Sekt – und trotz des regnerischen Wetters kam hier und da Festatmosphäre auf.

„Immer, wenn gefeiert wurde, war es in Ordnung“, sagt der Ortsamtsleiter rückblickend. Aber durch die Feiernden zog eine Gruppe von 20, 30 Leuten, die die Kaputzen nicht nur gegen die Kälte aufhatten. „Leute, die stocknüchtern waren“, sagt Bücking, einige mit Benzin in den Bierflaschen.

Eine dieser Bierflaschen bekam der grüne Ortsamtsleiter an den Kopf geschlagen, als er, zusammen mit anderen, verhindern wollte, daß aus Klohäuschen Barrikaden wurden. „Kids“ waren das, die da randalierten, sagen Beobachter. „Dabei war aber auch der harte Kern der autonomen Szene“, finden Kenner des Viertels. Derjenige, der dem grünen Ortsamtsleiter die Benzinflasche auf den Kopf schlug, war auch vermummt. „Der hat mich sicher gekannt“, meint Bücking.

Große Hoffnungen hatte Bücking in die Festaktion gesetzt. „Diese Silvesternacht könnte der Bremer Linie wieder ein bißchen Leben einhauchen“, hatte er noch frohlockend formuliert. Diese Bremer Linie „besagte einst, daß gesellschaftliche Konflikte mit einem gewissen Respekt voreinander ausgefochten werden“. Gerade in diesem Punkt mußte Bücking in der Silvesternacht jedoch seine Einschätzung korrigieren: „Ich habe die autonome Selbstisolation unterschätzt. Ich hatte gedacht: Die machen kein Gesicht kaputt.“

Nicht nur ihm, auch einigen anderen, die mit den Kids reden und deeskalieren wollten, wurde die Brille vom Gesicht geschlagen. Auch die Bilanz der zerstörten Schaufenster könnte das Wort von der „Selbstisolation“ bestätigen: Die Mehrzahl der betroffenen Läden sind alteingesessene, kleine Geschäfte. Keine Sparkasse, keine Bank, keine „Schiggimiggi“-Boutique ist betroffen, sondern fast ausnahmslos kleine wackelige Existenzen.

Zum Beispiel das über 60 Jahre alte Fleischerehepaar Eckel. Das liebenswert verstaubte Schreibwarengeschäft Hübscher, das von zwei alten Damen geführt wird. Oder der Öko-Fleischer Groth, vierhundert Meter entfernt von der Kreuzung. Dem alternativen Mitfahrladen, dreihundert Meter entfernt, wurden – offensichtlich gezielt – die Scheiben eingeworfen. Die Schaufenster von manch richtig protzigem Laden direkt nebenan tasteten die „stinknüchternen“ autonomen Strategen nicht an. „Immerhin“, sagt die alte Inhaberin des Eisenwarenladens Caesar, „in diesem Jahr wurde nicht geplündert.“

An einer anderen Stelle vor dem Theater hatte die Musik- Band die brenzlige Lage entspannt. „Wollt ihr feiern, oder wollt ihr Randale“, fragte sie, als das Pflaster aufgerissen wurde und einzelne Steine in die Richtung der aufmarschierten Polizei geworfen wurden. Die Antwort „Feiern“ war so eindeutig, daß sich der kleine Trupp von Kapuzen-Kids entfernte. Die Polizei, „außerordentlich besonnen“, lobt Ortsamtsleiter Bücking, ließ sie ziehen. Das Fest ging weiter.

Erst als gegen zwei Uhr wieder Regen einsetzte und das „Fest- Publikum“ sich langsam verzog, bekamen dann die Kids ihre Chance auf der Sielwall-Kreuzung. Wieder wurden Klohäuschen umgestürzt, hinter denen sich Personen verschanzten. Flaschen und Leuchtmunition flogen durch die Luft. Während Bühne und Verkaufsstände abgebaut wurden, räumte die Polizei die Kreuzung. Die Situation „beruhigte sich“, wie die Polizei feststellte.

Die polizeiliche Bilanz: sechs verletzte Beamten, acht Personen zwischen 17 und 42 wurden vorläufig wegen Landfriedensbruch festgenommen. Die politische Bilanz: Die meisten der beteiligten Kaufleute wollten sich in der Silvesternacht ihre Idee, die Krawall-Tradition durch ein öffentliches Silvester-Fest zu unterbrechen, „nicht kaputtreden“ lassen.