„Unser Leben ist kaputt. Bremen hat mir so gut getan“

■ Fadila Mujkic, Deutschlehrerin aus Tuzla, hat das Bremer Bosnien-Komitee besucht - und über die Selbstmord-Phantasien berichtet und die große Angst vor der Kapitulation

Fadila Mujkic, 28 Jahre, unterrichtet 37 Stunden in der Woche Kinder und Jugendliche – wie alle öffentlich Bediensteten in Bosnien schon lange völlig ohne Lohn oder Gehalt. Und sowieso völlig ohne Materialien, Bücher, Stifte, Hefte, Kopierer, Umdrucker, Papier. Oft auch ohne Heizmaterial, in Jacken und Mänteln. Sie ist Deutschlehrerin in der kleinen Gemeinde Lukavac in der Nähe der bosnischen Stadt Tuzla. Ab und zu gibt es als Entlohnung ein Lebensmittel-Paket. Für Bargeld muß sie sich Nebenjobs suchen. Fadila, die fließend Deutsch spricht, ist privilegiert, kann manchmal private Sprachstunden geben, macht Übersetzungen.

Bei ihrem Besuch in Bremen im Dezember sprach Fadila mit der taz - über Angst und Lieder dagegen, über Nationalismus und die neuen Pässe „2. Klasse“, über Selbstmordphantasien, Witz und Wut, Sprechen und Schweigen. Und über ihre bittere Gewißheit: „Wir werden nach dem Krieg schlechter leben als meine Eltern und Großeltern.“ Ein-, zweimal kommen ihr beim Berichten die Tränen, die sie uns am liebsten gar nicht zeigen will. Dann geht sie raus und brüht für alle eine neue Lage ihres selbstgerösteten, starken Kaffees. Und putzt die Nase, spricht weiter.

Nach drei Jahren Krieg in Bosnien ist nichts mehr, wie es war. Es gibt Schreckliches zu erzählen und Alltägliches, das aber mit dem Alltag vor drei Jahren gar nichts mehr gemeinsam hat. Vielleicht ist das Schrecklichste ausgerechnet die Geschichte von der Kuh. Denn sie ist eine Geschichte über Menschen: „Als bei uns in der Nähe ein Dorf eingenommen und verbrannt wurde von den Tschetniks, da haben sie 40 Zivilopfer massakriert, ein Freund von mir, ein Mann, wurde auch verbrannt. Es gibt darüber eine Videokassette, die die Tschetniks selbst gefilmt haben. Nach dem Krieg werden wir viele solcher Beweise haben. Man sieht das Dorf, viele Granaten. Die Befehle. Diese Leute, die Täter sind noch am Leben! Dann am Schluß haben sie eine lebende Kuh in den Brunnen geworfen. Um ihn zu vergiften. Ich habe darüber so viel geweint.“

Vor dem Krieg war Jugoslawien, und alles war anders. „Unsere Generation, wir hatten ein Bild vom Leben in Jugoslawien, das hatte nichts mit Kommunismus zu tun. Wir hatten die Mode, es gab billige und teuere Geschäfte, es gab auch riesige Unterschiede zwischen uns und den Polen, Tschechen, Rumänen. In Jugosawien war Freiheit. Ich konnte studieren. Wir haben zusammengelebt und uns nicht interessiert, wer Muslim, Serbe, Kroate war. 12 Jahre war Gordan meine Freundin, eine Serbin, jetzt lebt sie auf serbischem Territorium. Jetzt ist es ein schlechtes Gefühl, Leute nach ihrem Namen unterscheiden zu müssen: welche Sorte sind sie? Ich habe eigentlich kein Gefühl für Nationalität. Ich selbst bin Muslimin – aber das hat nichts mit den anderen zu tun!“ Statt Mode gibt es jetzt Altkleider aus deutschen Sammlungen, statt Freiheit Kriegsrecht. „Früher, mit unseren jugoslawischen Pässen, da waren wir sehr stolz! So war auch die Propaganda: Wir können überallhin! Zur Tito-Zeit fanden wir: Unser Paß ist der beste der Welt. Jetzt, mit dem bosnischen Paß, muß ich mich schämen, als Person 2. Klasse.“ Für zwei Wochen Deutschlandreise muß Fadila nach Zagreb, um ein Visum zu besorgen. Schon an der Grenze zu Kroatien muß sie 4, manchmal 10 Tage kalkulieren. Bei der Deutschen Botschaft in Zagreb werden die Menschen in drei Gruppen sortiert: „Zuerst die Kroaten aus Kroatien, dann die Kroaten aus Bosnien mit bosnischem Paß, und dann, wenn sie alle abgefertigt sind, die Muslime aus Bosnien. Für viel Geld.“ Im Hotel Zagreb sollten die Bosnier dann 150 Mark bezahlen für eine Nacht. Da sagte aber der kroatische Angestellte an der Rezeption: „Ich berechne euch 96 Mark, wie für Kroaten!“ – Fadila erzählt das, um zu beweisen: „Es gibt überall Menschen.“

In Fadilas Kollegium an der Schule arbeiten auch Serben. Und 130 Kilometer weiter, in Senica, kämpfen Serben gegen Kroaten und Muslime. Fadila: „Ich sage zu den Kriegführenden aber nicht Serben, sondern 'Tschetniks', nicht Kroaten, sondern 'Ustasa'. Es ist besser, offen zu sprechen. Karacic ist ein Tschetnik. Und darüber schweige ich auch nicht gegenüber den serbischen Kollegen. Das Sprechen ist die beste Medizin. Allerdings, das ist schon gelungen durch den Krieg: Wenn ich Serben oder Kroaten nicht kenne, dann schweige ich.“

Wochenlang wurde Tuzla wie aus Lust am Psychoterror beschossen: alle 15 Minuten eine Granate. Das Abschußgeräusch war in der ganzen Stadt zu hören, wie eine zuschlagende Autotür, einige Minuten pfeifender Flug, dann das Wegducken, Anspannen, Warten, dann der Einschlag, irgendwo. Nach wenigen Minuten die nächste Granate. Eine endlose, immer neu hochgehaltene Anspannung in den Menschen. Reiner Psychoterror.

Ergebung!, raten manche ausländische Beobachter, dann haben der Krieg und das Sterben wenigstens ein Ende. Fadila spricht nicht nur für sich, wenn sie sagt, daß sie vor diesem Frieden mehr Angst hat als vor dem Krieg: „Ich habe fürchterliche Angst, was sie dann tun. Wir alle wissen, was sie dann machen. Vor kurzem hat sich eine Frau hinter die serbische Frontlinie verlaufen. Sie haben sie geschlagen und ihr Blut abgenommen, für die verwundeten Soldaten. Sie wird das nicht überleben. Wenn sie kommen, wird ein kollektiver Selbstmord sein. Ich werde mich töten. Das ist eine wirkliche Entscheidung. Wir haben so viel Angst.“

In den beiden Wochen, als Fadila in Bremen ist, tobt der Kampf um Bihac. Was für ein Gefühl, zu wissen: „Die Tschetniks können das mit uns auch machen. Meist schiebe ich diese Überlegung weg.“ Fadila fährt zurück nach Bosnien. „Bremen hat mir so gutgetan. Ich habe so viel Schönes erlebt. Aber das hat zwei Seiten. Ich habe hier weniger Hoffnung als dort! Hier diskutieren alle die Weltpolitik. Dazu haben wir dort keine Zeit. Manchmal fühle ich mich zu Hause so eingeschlossen, dann bin ich krank davon. Dann möchte ich rausgehen, weggehen. Oft am Abend schlafe ich nicht. Weil ich im Kopf habe, daß ich durch eine Granate getötet oder von den Tschetniks vertrieben werde und fliehen muß. Aber meine Freunde, Verwandten, Bekannten, meine Familie ist dort. Viele sagen: Du kannst Deutsch und bist immer noch hier! Dann male ich mir aus, daß ich meinen Eltern besser von Bremen aus helfen kann. Aber als Flüchtling ist es nicht wirklich gut. Dort ist es viel gesünder zu leben – wenn auch gefährlicher! Bei vielen Flüchtlingen in Bremen, mit denen ich gesprochen habe, ist so viel Nationalismus! Das ist ganz falsch. Es gibt vielleicht ein Schuldgefühl, weil sie geflohen sind. Wir überlegen, was können wir feiern, wir spielen Gitarre und singen. Wir sind lustiger als die Flüchtlinge hier!“

Fadilas Generation hatte alle Hoffnung auf ein anderes Leben. „Wir sind geschult, wir wollten reisen, wir hatten eine eigene Lebens-Chance. Ich bin traurig, weil ich weiß: Auch wenn ich eines normalen Todes sterbe und nicht in den nächsten Monaten: Unser Leben ist kaputt. Wir werden nach dem Krieg schlechter leben als meine Eltern oder Großeltern.“ Dann geht sie raus und brüht neuen Kaffee, für alle. Susanne Paas