■ Nur Mitglieder sollen von der Gewerkschaft profitieren
: Trittbrettfahrer, absteigen!

Das Geld wird knapp, die Reallöhne steigen schon lange nicht mehr – was tut man da als klug rechnender Arbeitnehmer? Man spart. Mitgliedsbeiträge zum Beispiel. Man tritt erst mal aus der Gewerkschaft aus; dadurch drohen ja keinerlei Nachteile. Denn die Tarifverträge, die die Gewerkschaften aushandeln oder erkämpfen, kommen automatisch allen zugute. Die Einzelorganisationen des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) haben allein im ersten Halbjahr 1994 eine Viertelmillion ihrer Mitglieder verloren, das sind fast 2,5 Prozent. Im vergangenen Jahr ist der Bestand gewerkschaftlich organisierter Lohnabhängiger damit unter die Zehn-Millionen-Grenze gefallen.

Nun müssen die Gewerkschaften also ihrerseits sparen; ihre Kampfkraft sinkt. Auch die Rolle, die immer mehr Mitglieder von ihnen erwarten, nämlich ein Dienstleistungsbetrieb zu sein, können sie schlechter ausfüllen. Und was tun klug rechnende Gewerkschaftsfunktionäre in dieser mißlichen Lage? Sie sorgen dafür, daß die Nutznießer ihrer Aktivitäten auch zu deren Finanzierung beitragen. Trittbrettfahrer sollen nicht mehr mitbefördert werden. Das ist nur zu verständlich – und gerade in dieser Zeit auch sinnvoll.

Daß die Gewerkschaften ihre historische Rolle ausgespielt hätten, ist ein gewaltiges Mißverständnis. Die Arbeitgeber, sei es Arbeitgeberpräsident Murmann oder der Chef des Industrie- und Handelstags, Stihl, überbieten sich derzeit gegenseitig mit Vorschlägen zum Lohn- und Sozialabbau. Nichts mehr ist tabu: Die Lohnkosten sollen auf Teufel komm raus gedrückt werden. Je schwächer die Gewerkschaften, desto weniger brauchen die Arbeitgeber zu befürchten, durch solche Vorstöße den sozialen Frieden zu gefährden. Denn eine Arbeitnehmerschaft, die, aus lauter Einzelkämpfern bestehend, sich krisengebeutelt duckt, ist kein ernstzunehmender Gegner für die Unternehmer.

An der Beibehaltung des Status quo, der absoluten Gleichbehandlung von Gewerkschaftsmitgliedern und Nichtmitgliedern, müssen daher vor allem die Arbeitgeber interessiert sein. Sie können dies damit begründen, daß andernfalls Arbeitnehmer praktisch gezwungen würden, in die Gewerkschaft einzutreten, was dieser eine Monopolstellung einräumen würde. Nur, konkurrenzlos sind die Gewerkschaften schon heute. Und gezwungen wird auch künftig niemand, gewerkschaftliche Errungenschaften in Anspruch zu nehmen. Aber wer möchte, daß die Gewerkschaft für ihn oder sie kämpft, muß sich auch hinter sie stellen. Nicola Liebert