Sanssouci: Vorschlag
■ Rolands Teile oder: Der Mann mit den Muffen und Mörsern
Bei „Mr. 1000 Teile“ überfällt den ungeahnten Besucher ein Gefühl der Heiterkeit, des Mitleids und die Befürchtung, daß die Verkäuferin Corinna bald von einer Kaffeekanne erschlagen wird. Der Laden ist proppevoll. Ach was, es herrscht das gequirlte Chaos. Bis unter die Decke. Überall blinkt, piept und säuselt es. Und gleich vorne am Eingang turnen drei Wellensittiche (ein vierter lag unlängst tot im Sand) putzmunter durch einen goldenen Käfig. Rechts davon sitzt in der Regel der Roland. Das ist der Besitzer. Weil der schnauzbärtige Roland 1.000 Teile hat, hat ihn der Nimmersatt Alfred Biolek mal zu einer Fernsehsendung eingeladen. Aber das ist schon ein Weilchen her. Zur Zeit hat Roland kleine Papierschnipsel auf seiner Ladentheke ausgelegt. Darauf steht, daß seiner Kundschaft wieder SKT-78 zur Verfügung stehen. Das sind Schnellkochtöpfe. Tja, mit solchen Dingen handelt Mr. 1000: BEBO-Sher-Rasierer, Rolladenbänder, Muffen und Mörser sowie Zubehör für alte Stereoanlagen.
Allein für 300 verschiedene Staubsauger – auch für Modelle aus den 50er Jahren – sind Beutel zu haben. Es gibt neuen und gebrauchten Kram. Die Kundschaft ist in der Regel hoch erfreut. „Ich hätte gerne ein 65er-Tuch für meine Heißmangel“, sagt eine apfelbackige Frau. Corinna wühlt und ruft nach einigen Minuten durchs Panoptikum: „Macht 23 Mark und 60.“ Dann tappt die Kundin strahlend raus. Oft schleppen die Menschen ihre defekten Dinge gleich an. Einmal, sagt Corinna, stand ein Mann mit Sonnenbrille im Laden. Er habe nervös mit den Fingern auf der Theke geklimpert und gewartet, bis die alte Kundin vor ihm den Laden verlassen hatte. Corinna dachte an einen Überfall. Doch dann habe er einen Vibrator aus der Tasche gezogen und nach einem Ersatzteil gefragt. Diesem Herrn konnte Corinna leider nicht zu seinem Glück verhelfen. Ansonsten ist, was nicht schon im Laden liegt und stapelt, fast alles zu bestellen. Momentan gibt es einen Run auf Ersatzteile für DDR-Haushaltsgeräte.
Corinna macht eigentlich ihr Abitur. Aber im Laden findet sie es „höllisch spannend“. Simpel ist die Arbeit allerdings nicht. Man muß immer mitdenken. Seit einigen Jahren ist es auch nicht mehr möglich, mit einem Körbchen durchs Geschäft zu laufen: In der rechten Regalseite kann man sich nur noch seitlich durchs Gewühl schieben und bleibt dann trotzdem irgendwo hängen. In diesen schweren Tagen der Inventur ist das natürlich besonders lästig. Aber Mr. 1000 Teile hat sich als praktischer Mensch etwas einfallen lassen: Die Preisbepper sind farblich nach Jahren geordnet. So kann man die Dinge schon aus der Ferne anpeilen. Denn Roland hat inzwischen mehr als 10.000 Teile. Tomas Niederberghaus
„Mr. 1000 Teile“, Feuerbachstraße 20 in Steglitz, Ersatzteilinfo unter 792 40 40.
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