■ Normalzeit
: Früh- und spätgeschichtliche Besiedlung

„Dallgow is a peaceful place surrounded by meadows of wild flowers, corn fields and forests“, schreiben die drei West-Bauherren des „Parkhotels“ in Dallgow- Döberitz, einem Dorf an der B 5 gleich hinter Spandau. Selten wurde in einem Werbeprospekt dreister gelogen: Die kleine Gemeinde vor dem Olympischen Dorf, in dem sich zuletzt die Garnison Elstal der Roten Armee befand, macht eher den Eindruck, als hätte man dort plötzlich Gold gefunden. An allen Ecken und Enden wird gebaut.

Den Anfang machte die Reitschule Dietrichsmeyer, als sie von der Deutschlandhalle nach Dallgow umzog, wo sie sich auf LPG- Land – mit einem „Springreiter“- Casino nebst „Springreiter“- Hotel – erheblich vergrößerte. Es folgten zwei „Polo-Clubs“, ein Ponyhof und die Sattlerei Henning. Mittlerweile hat sich fast jeder Dallgower Resthof zu einem Reitcenter gemausert, und alte Fachwerkscheunen wurden zu modernen Büros umgerüstet. Annähernd 400 Pferde gibt es jetzt schon in Dallgow, weitere 250 stehen in zwei nahe gelegenen Dörfern.

Auf den von Baufahrzeugen ruinierten Dorfstraßen sieht man alle paar Minuten junge Blondinen aus Charlottenburg hoch zu Roß, es gibt mehr Mercedesse als Fahrräder.

Der aus Spandau stammende Bürgermeister holte aber nicht nur jede Menge Pferde nach Dallgow und klatschte das Parkhotel im Landhausstil (Zimmerpreis 175 DM) direkt ins Dorfzentrum neben die alte märkische Kirche, sondern läßt dort die bayrische „Komfort-Haus GmbH Abensberg“ auch noch 286 Eigentumswohnungen bauen – zu 1.100 DM pro Quadratmeter, wie Bauleiter Heinz-Jürgen Zick ausrechnete (verkauft werden sie für 5.800 bis 6.200 DM pro Quadratmeter). Weitere 2.000 Wohneinheiten sind bereits beantragt. Auch die z.T. denkmalgeschützten Häuser des Olympischen Dorfes (Löwen-Kaserne genannt, weil die Sowjets eine Löwen-Plastik vor dem Haupttor aufgestellt hatten, die dann von der Bundeswehr geklaut wurde) will der umtriebige Bürgermeister aus dem Westen „entwickeln“, aber noch blockiert die Bundesfinanzdirektion, die das riesige Areal, zu dem Sportstätten und ein Truppenübungsplatz gehören, verwaltet.

Mehr Glück hatte er mit einem Gewerbegebiet auf der anderen Seite der B 5. Dort steht bereits ein von Lidl und Schwarz errichtetes riesiges Einkaufscenter – „Havel-Park“ genannt – kurz vor der Eröffnung, ein „Auto-Center“ ist geplant. Um das Gewerbegebiet mit dem Dorf zu verbinden, wird gerade die B 5 untertunnelt.

Dabei stieß man auf eine kleine archäologische Sensation: zwanzig Teerschwelgruben aus dem 7. bis 12. Jahrhundert nebst etlichen Keramikscherben. Die als runde schwarze Flächen im Sand sichtbaren spätslawischen Teer- und Pech-„Fabriken“ werden gerade von einer darauf spezialisierten Firma aus Dürboslar namens LAND gesichert und dokumentiert. Die Untertunnelungsarbeiten an der B 5 müssen solange ruhen.

Der Baufirma arbeiten die acht brandenburgischen Studenten unter der Leitung einer holländischen Archäologin jedoch nicht schnell genug. Besser klappte die Zusammenarbeit zwischen den Archäologen und der Komfort-Haus GmbH, als auf deren Baustelle im Frühjahr sechs spätslawische Brunnen und mehrere Feuerstellen entdeckt wurden.

In Dallgow fanden die Vor- und Frühgeschichtler bereits in den dreißiger Jahren Reste slawischer Besiedlung. Die heutige Dallgower Dreckarbeit wird übrigens zumeist auch wieder von Spätslawen, aus Polen, erledigt, die dort jedoch nur temporär, in Wohnwagen, leben „Das Wort ,Wohnwagen‘ scheint sagen zu wollen, daß die Dialektik des unglücklichen Bewußtseins dabei ist, überholt zu werden, und daß wir dabei sind, glücklich zu werden.“ Dies könnte der Werbespruch eines Wohnwagenhändlers mit Ostabitur sein, den es in Dallgow tatsächlich gibt (im Maschinenschuppen der ehemaligen LPG). Das Zitat stammt aber von Vilem Flusser. Helmut Höge