■ Filmstarts à la carte: Ein Damenbein liegt herum
Heinz Emigholz gesellt dem Filmtreiben der Stadt ein weiteres Mal die kleine Reihe „Experimentelle Filmgestaltung“ bei, von welcher nämlich sein Seminar an der Hochschule der Künste flankiert wird.
Diesmal ein Griff in die Grundsatzkiste: Un Chien Andalou und L'Age D'Or von Buñuel/Dali sind für diejenigen unter uns, die sich dem Kino von der dürren Ebene der Linguistik her nähern, die Illustration dessen, was passiert, wenn man mit Satzbausteinen nach beliebig wechselnden Kriterien herumhantiert; mal nach Sound, mal nach Buchstabenbild, mal nach semantischen Feldern. Der unverwandte Blick aus dem Fenster kann die draußen vorbeirauschenden Dinge nicht mehr eingemeinden; disparate Objekte werden aus ihrer Syntax losgeeist, plötzlich liegt ein Frauenbein irgendwo herum, und man kann nicht mehr sagen, ob es noch von dieser Welt ist oder schon von der nächsten.
Alles scheint im Zwischenland angesiedelt, der fliegende Hut ist von eigenem Temperament genau wie der Spazierstock. Buñuels Objekte grüßen noch herüber aus der Aristokratie, sind aber ins bürgerliche Roulette geschleudert, und man fragt sie: Bist du schon Kunst oder noch Leben. Da können sie nur lachen.
Während man inzwischen in jeder schlechteren Buchhandlung eine CD mit dem Gesang der Wale erstehen kann, geht das ökologisch geschultere Publikum in den Kongreß der Pinguine, der in der Nachfolge von Nanook of the North dokumentarischen Gestus mit kleinen Naturschauspielen anreichert. Schwarzweißaufnahmen aus den dreißger Jahren wechseln sich mit kleinen Pinguin-Gruppenporträts ab, natürlich geht es um ihre Dezimierung und darum, daß Tiere letztlich die besseren Menschen sind, aber mitunter herrscht ein schlichtes, interesseloses Wohlgefallen, man meint sogar, ein Pinguin-Schmunzeln zu entdecken.
Niemals werden die Menschen es müde, Der letzte Tango in Paris zu sehen, obwohl doch zumindest Maria Schneider eine wirklich blöde Nuß ist, die in dem Film ja auch eigentlich nur als Sättigungsbeilage funktioniert. Ansonsten ist der Film natürlich ein Marlon- Vehikel, und als solches zeitlos schön.
Das Filmmuseum Potsdam macht einen zweiten Versuch mit Edgar Reitz: Die zweite Heimat der achtundsechziger Jugend von dem Hermannsche als Genie unter Genies mit Clarissen und anderen Elfen, mit Hannelore Hoger als übriggebliebener Ewiggestriger, die sich dann ins Mäzenatentum rettet, und den obligatorischen Opiumhöhlen auf der Fahrt nach Berlin, wo das Laster herrscht, während in München doch eher die Kunst und im Hunsrück dann eben das Schicksal herrscht, daß einen ja eben doch an die Scholle kettet, machen wir uns da mal gar nichts vor. An den Toiletten in den Berliner Kommunen steht immer, wie mit Zirkelschrift geschrieben: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.“
Auch läßt er eine nach der anderen seiner sorgfältig porträtierten Figuren sterben, der eine, Ansgar, wird wie im schlechten Western mit dem Fuß eingeklemmt in der Straßenbahn zu Tode geschleift, ein anderer ertrinkt geheimnisvoll ... Gab es eine im Berliner Establishment, mit der er gerne mal gepennt hätte vielleicht? Haben ihn die Berliner nicht mitspielen lassen. Oder bricht sich hier schlicht ein gewisses Kleinbürger-Sentiment Bahn, nachdem die junge Hybris eben eh bestraft gehört, was mußten sie auch so hoch hinaus wollen damals?
Mariam Niroumand
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