Kultpotential

■ „Picket Fences – Tatort Gartenzaun“, ab heute, 21.15 Uhr, Sat.1

Rome, Wisconsin, ist ein reizvolles Fleckchen mit freundlichen Menschen und einer überschaubaren Infrastruktur. Spätestens seit „Twin Peaks“ aber wissen wir, daß hinter freundlichen Fassaden oft finstere Mächte walten. Auch in Rome begeben sich aberwitzige Dinge. Während einer Laienaufführung des Musicals „The Wizard of Oz“ entschläft der Blechmann. Selbst wenn es gelungen wäre, sein Konservenkostüm umgehend zu knacken, hätten die fürsorglichen Bühnenhelfer Phil Banks nicht mehr retten können, denn der lebenslustige Pädagoge wurde nicht, wie zunächst vermutet, von einem Herzinfarkt, sondern von einer tödlichen Nikotininjektion niedergestreckt. Die Symptome freilich sind dieselben, und so liegt die Vermutung nahe, daß ein Jünger Äskulaps die Hand im Spiel hat. Während Sheriff Jimmy Brock (Tom Skerritt) die Angelegenheit herunterzuspielen sucht, balgen sich seine Hilfssheriffs Maxine (Lauren Holly) und Kenny (Costas Mandylor) darum, den Fall übernehmen zu dürfen, bietet er doch eine der in dieser Gegend seltenen Gelegenheiten zur Profilierung.

Kennys Interesse erlahmt merklich, als das Gesangsduo The Contrition-Sisters in Rome haltmacht und eine der beiden Sängerinnen bei ihm gewisse Gefühlsregungen hervorruft. Auch Jim Brocks Tochter Kimberly (Hollie Marie Combs), die selbst eine Gesangskarriere anstrebt, ist häufig in der Nähe ihrer beiden Idole anzutreffen, muß aber zu ihrem Leidwesen erfahren, daß Talent und halb vergessene Hits allein den Lebensunterhalt nicht zu sichern vermögen. Unterdessen nimmt der ominöse Mordfall eine Wendung nach der anderen, und erst als die Witwe des Verblichenen schaumgebadet, aber tot in ihrem Geschirrspüler gefunden wird, zeichnet sich eine Lösung des Rätsels ab...

An Bizarrerien hat es keinen Mangel im beschaulichen Rome; auch die dem Pilotfilm folgenden Episoden von „Picket Fences – Tatort Gartenzaun“ bieten Verqueres und Schräges zuhauf. Zwerge reiten auf Elefanten in die Stadt, ein Kidnapper sammelt die Hände seiner Opfer, der feiste Bürgermeister muß mit einem Kran aus seinem havarierten Pkw gehoben werden. Aber, und damit sei der sich aufdrängende Vergleich mt „Twin Peaks“ zügig hinweggefegt, der Mikrokosmos Rome ist immer auch Spiegelbild der US-Gesellschaft. Angefangen bei den verallgemeinerbaren Beziehungsproblemen des Ehepaares Brock bis hin zu Religionsfreiheit, Aids und Euthanasie, umfaßt der narratorische Diskurs vieles von dem, was amerikanische Kollegen gern als „provocative“ bezeichnen.

Die souveräne Verknüpfung von leichthin unterhaltenden Elementen mit Problemthemen brachten dem Produktionsteam euphorische Kritiken, etliche Fernsehpreise und, mit ein wenig Verspätung, sogar Einschaltquoten. Die unabhängige Organisation „Viewers for Quality Television“ (VQT) wählte „Picket Fences“ zur besten dramatischen Serie der Saison 1992/93; in den „Qualitative Ratings“ des Verbandes rangiert die Serie stets auf den vorderen Plätzen.

VQT unterstützte auch die ZuschauerInnen im Raum Seattle, als der lokale, von Mormonen geführte CBS-Sender wegen angeblich „anstößiger Passagen“ die Ausstrahlung von „Picket Fences“ verweigerte und aus dem Network ausscherte. Massive Proteste zwangen die Verantwortlichen, die inkriminierten Episoden wieder ins Programm zu nehmen.

„Picket Fences“ trägt die typische Handschrift des Autors und Produzenten David E. Kelley. Der gelernte Jurist kam 1986 zum Fernsehen und lieferte zunächst Skripts für die von Starproduzent Steven Bochco („N.Y.P.D. Blue“) gemeinsam mit Terry Louise Fisher konzipierte Anwaltsserie „L.A. Law“. Nachdem Bochco sich anderen Aufgaben zugewandt hatte, uwrde der Seiteneinsteiger Kelley verantwortlicher Produzent und betreute drei Staffeln der Serie, bevor er sich, einen attraktiven Vertrag des CBS Networks in der Tasche, selbständig machte, um fortan eigene Sendereihen zu entwickeln. Pikanterweise konkurrierte „Picket Fences“ zeitweise mit „L.A. Law“ – beide liefen donnerstags um 22.00 Uhr. Mittlerweise wurde „L.A. Law“, das nach Kelleys Abgang und dem Verlust mehrerer Ensemblemitglieder deutlich an Originalität verloren hatte, eingestellt, während „Picket Fences“ bei der diesjährigen „Emmy“-Verleihung erneut üppig bedacht wurde.

Sat.1 zeigt heute den Pilotfilm zu „Picket Fences“ um 21.15 Uhr, die Serienfolgen dann jeweils montags um 22 Uhr. Zusätzlich startet am kommenden Sonntag noch eine weitere Kelley-Produktion: „Chicago Hope“ spielt in einem Hi-Tech-Krankenhaus, ist mit Mandy Patinkin und Hector Elizondo exzellent besetzt und bietet wiederum die für Kelley typische Mixtur aus dramatischem Geschehen, sozialem Engagement und ausgepichtem Humor. Der Pilotfilm steht am 8. Januar um 21.15 Uhr auf dem Sat.1-Programm, die weiteren Episoden jeweils sonntags um 21.15 Uhr. Harald Keller