Mach es lauter, größer

Sind all die Vampire, Werwölfe und Homunculi eine Art neues schwules Kino, endlich in Hollywood angekommen? Der letzte, „Mary Shelleys Frankenstein“, von Shakespeare-Mann Kenneth Branagh, ab heute im Kino  ■ Von Mariam Niroumand

Mary Wollstonecraft Shelley war knapp zwanzig, als sie im Sommer 1817 mit ihrem Mann, dem Lord Byron und seiner Geliebten, seinem Leibarzt und einem gewissen Hanswurst Polidori einen Urlaub am Genfer See verbrachte. Wegen anhaltend schlechten Wetters las man gemeinsam ein gutes Buch. Es war, wie Hans Richard Brittnacher in seiner „Ästhetik des Horrors“ berichtet, das deutsche „Gespensterbuch“. Schnell war der Entschluß gefaßt, sich selbst an einem solchen Werk zu versuchen – ziemlich erfolgreich, wie es scheint. Percey Bushe Shelley jedenfalls soll noch in jenen Tagen einen Schwächeanfall erlitten haben, als er seine Frau anschaute und plötzlich die Vision hatte, aus ihren Brustwarzen starrten ihn zwei Augen an. Einige unbrauchbare Vampirgeschichten entstanden; aber ein Gespräch über den abwesenden Herrn von Darwin – den mit Galvanismus experimentierenden Vater von Charles, der zerhackte Würmer in einem Glasbehälter wiederbelebt haben soll – brachte das Projekt Frankenstein auf den Weg.

Die Idee von einem neuen Prometheus, der Leben nach seinem Bilde schafft, war weder neu noch die einzige ihrer Art: In denselben Jahren laborierte E.T.A. Hoffmann an „Die Automaten“, Jean Paul an „Der Maschinenmann nebst seinen Eigenschaften“ oder auch an einem Schlock-Stückchen mit dem prächtigen Titel „Einfältige, aber gutgemeinte Biographie einer neuen, angenehmen Frau von bloßem Holze“ – allesamt natürlich ihrerseits Nachkommen von Pygmalions Galatea, Paracelsus' Homunculi oder der Golemschöpfung des Prager Rebbe.

Den damaligen Impuls hinter diesen Zeugungen kann man sich leicht zusammenreimen: die frühen Automaten, die im Schlepptau der Aufklärung auf die Haushalte zugerattert kamen, müssen ein Gemisch aus Größenwahn und Vernichtungsangst mobilisiert haben. Gott spielen war wohl genauso reizvoll wie die am Horizont aufziehende Möglichkeit, sich der Natur zu entledigen – und wer ist wieder mal die Natur? Jawohl, die Damen, wir sind gemeint; die „angenehme Frau aus gutem Holze“ liebt garantiert schleimfrei, hier zeugt der Meister selbst, sich selbst, ganze Geschlechter seiner selbst.

Daß die Erfindung ihren Genius frißt, ist keineswegs nur eine Bestrafung von dessen Hybris. Hinterrücks hat die Natur sie wieder; Frankensteins Kreatur will nicht nur eine Frau, sondern leidet am Dasein ganz erbärmlich, am zusammengeflickten Körper und am mühsam in die Zivilisation gezerrten Geist, der nicht einmal das Privileg hat, sich auf den metaphysischen Trost einer göttlichen Abstammung berufen zu können. Wenn Robert De Niro als das Monster in „Mary Shelleys Frankenstein“ aus der Kälte in eine Bauernkate hineinschaut, ist plötzlich die ganze hoffnungslose „In- die-Welt-Geworfenheit“, die der Erfinder doch loszuwerden gehofft hatte, wieder da.

Hollywood ist zur Zeit fast überbevölkert von seinesgleichen. Dabei paaren sich stets große Namen mit respektablen literarischen Vorlagen der E-Klasse. Francis Ford Coppola hat „Mary Shelleys Frankenstein“ produziert, nachdem er selbst erfolgreich „Bram Stoker's Dracula“ verfilmt hatte (die Ähnlichkeit beider Projekte mit seinem Erfinderporträt „Preston Tucker“ würde er wohl ebensowenig zurückweisen wie die mit dem Schicksal von Massa Kurtz in „Apocalypse Now“.) Mit seinem Regisseur Kenneth Branagh bleibt die Sache ebenfalls auf der E- Schiene, weil der den Shakespeare-Bonus einbringt, während Helena Bonham Carter als potentielle Frankenstein-Braut auf noble Merchant-Ivory-Verfilmungen und Tom Hulce, der Frankenstein-Gefährte, als Ex-Mozart auf ein weiteres sich verzehrendes Genie weisen können.

Einen schweren Stand hatte „Mary Shelleys Frankenstein“, weil er in den USA gemeinsam mit dem formidablen „Interview with the Vampire“ startete, der mit Tom Cruise, Christian Slater und Brad Pitt eben auch superlativ besetzten Literaturadaption. „Wolf“ lebte von der subkutan operierenden Triade Nicholson-Pfeiffer-Nichols, und da ist es nur recht und billig, wenn Wes Craven seinen Freddy Kruger wiederkehren läßt (sein Film „Wes Craven's New Nightmare“ startet hier, so Gott will, in zwei Wochen).

Nachdem nun auch Schwarzenegger zur Selbstzeugung übergegangen ist, muß man sich doch langsam mal fragen, woher der Trend zur monströsen Wiederkehr nun eigentlich kommt. Deutlicher als in Branaghs „Frankenstein“ kann er sich nicht darbieten.

In den Farben eines Heavy-Metal-Videos, dem schweren Gelb, dem glänzenden Blechgrau und dem morbiden Samtrot, wird der junge Frankenstein zunächst – nach einer gigantischen Eröffnung im ewigen Eis – als emsiger Sproß einer Schweizer Arztfamilie vorgestellt. Er begehrt seine Adoptivschwester (Objektwahl „du bist wie ich“), entsagt aber ihren schnulligen Reizen, als die Mutter im Kindbett stirbt – denn nun will er alles tun, daß nicht mehr gestorben werden muß auf der Welt. Und geht – nach Ingolstadt. Fegefeuer ist gar kein Ausdruck für das, was sich dort tut. Nicht nur Pest und Tod und Teufel, auch jede Menge faustische Gesellen treiben sich dort herum – unter anderem wird der Protagonist vom jungen Friedrich Schiller angerempelt: „Könnt ihr nicht gucken, wohin ich gehe.“

Kurz und gut, nach einigen Froschschenkel-Experimenten macht Prometheus-Branagh sich an die Kreation des Dings. Es rumpelt und rattert in einem Eisentrog, mit stets entblößter Brust schwitzt, zerrt und rast der Erfinder zwischen den dampfenden Kolben hin und her, es hat was von einem Fitneß-Studio, bis schließlich der Trog eine umschleimte, im eigenen Fruchtwasser ausglitschende Figur ausspeit, eben den phantastisch maskierten De Niro. Zusammen wälzen sich die beiden Männer nackt und halbnackt in diesem Schleim, die Musik wummert heftig dazu. („Ich habe zu Patrick gesagt: mach es lauter, größer. Ich wollte wie bei Wagner das Pathos aus dem Volumen erzeugen“, sagte Branagh den Leuten von Cinema.) Branaghs Lieblingsbild ist logischerweise das der fraulosen Zeugung: „Ich mag es, wenn die elektrischen Aale aus dem riesigen Hodensack in die Flüssigkeit gleiten und dort den Embryo befruchten. Das ist ein Bild ganz nach meinem Geschmack: gruselig, bedrohlich und unglaublich sexy.“

Um von dem ständig sich aufdrängenden Vergleich mit Boris Karloff („Frankenstein“, 1931) und dem geschraubten Schädel wegzukommen, wurde De Niro eine möglichst anthropomorphe Maske verpaßt: Narben aus Medizinbüchern, die verheilen, ungleiche Muskeln auf seinen Muskeln, um sichtbar zu machen, daß er aus Leichenteilen verschiedenster Provenienz zusammengesetzt ist. Er entläuft seinem Erfinder – allerdings mit dessen Tagebuch –, flieht vor dem Mob wie der Elefantenmensch und landet schließlich im Wald, wo er eben jene Bauernfamilie beobachtet, die ihren Kindern gerade Lesen und Schreiben und die wichtigsten Kulturtechniken beibringt: eine éducation sentimentale von draußen vor der Tür. Des nachts geht er, „wie Caliban in Shakespeares ,Sturm‘ als nützlicher Hausgeist“ (Brittnacher), um für die armen Leute Holz zu sammeln. Aber alle Herzensbildung war umsonst: Als er schließlich vom Aboriginal zum Bildungsbürger gereift ist, kriegt ihn die vermeintlich friedfertige Familie zu Gesicht und erstarrt vor seiner Häßlichkeit. Bevor sie ihn erschlagen, flüchtet er in den Wald zurück, eine geknickte Rose in der Hand.

Fürderhin gilt logischerweise sein ganzes Trachten der Rache an seinem Erfinder, der nicht bedacht hat, was er tut (Branagh: „Frankenstein ist wie Hitler“). Der Vereinigung der beiden Männer in der Schleimszene folgt schließlich die in der Nacht, die eigentlich als Frankensteins Brautnacht vorgesehen war. Für den Rest ihrer dann nicht mehr sehr langen Leben sind sie aneinandergefesselt. Zunächst möchte man meinen, genau darum könnte es in all diesen Selbstzeuger-Filmen gehen: einfach eine Explosion von schwulem Kino, endlich in der ersten Reihe. Das stimmt ein bißchen, aber es ist nicht alles. Wenn im Schlußbild der tote Erfinder und seine Kreatur auf einer Eisscholle aus der Zivilisation wegtreiben, wird einem klar, daß man schlicht auf eine seltsame Renaissance eines archaischen Katholizismus trifft. Die Kreatur steht im Schlußbild auf der Eisscholle in Flammen, dem ewigen Leiden am Menschsein, am Körpersein ein Ende im Opfertod setzend.

„Mary Shelleys Frankenstein“, Regie: Kenneth Branagh. Mit: Robert De Niro, Helena Bonham Carter, Kenneth Branagh u.a., USA, 1994, 128 Min.