piwik no script img

Schkunowas Allianz fürs Leben

Eine Reportage aus zwei Heiratsagenturen, die russische Frauen an Männer aus dem westeuropäischen Ausland und den USA vermitteln  ■ Aus Moskau Ulrich Heyden

Mein Geliebter, nimm mich mit dir. Dort in dem fernen Land werde ich deine Frau sein.

Meine Geliebte, ich würde dich mitnehmen, aber dort in dem fernen Land habe ich eine Frau.

Mein Geliebter, nimm mich mit dir. Dort in dem fernen Land werde ich deine Schwester sein.

Meine Geliebte, ich würde dich mitnehmen. Aber dort in dem fernen Land habe ich eine Schwester.

Mein Geliebter, nimm mich mit dir. Dort in dem fernen Land werde ich für dich eine Fremde sein.

Meine Geliebte, ich würde dich mitnehmen. Aber dort in dem fernen Land brauche ich dich nicht als Fremde.

(Milinki ty moi – russisches Volkslied)

Nicht weit vom Kreml, direkt neben dem Hotel Intourist in der Twerskaja befindet sich die Heiratsagentur Allianz. Tamara Schkunowa, die Chefin, ist eine freundliche Frau. Die Allianz war das erste russische Heiratsinstitut, erklärt sie stolz. Ende der 80er Jahre gab es in dem Moskauer Park, wo die „volkswirtschaftlichen Errungenschaften der UdSSR“ gezeigt wurden, eine Sonderausstellung zum Dienstleistungsgewerbe. „Dort bekamen wir einen Preis als bester Dienstleistungsbetrieb.“

Frau Schkunowa sitzt an ihrem Schreibtisch und schenkt aus einer großen Plastikflasche roten Saft ein. Sie hat sich einige Fälle aus ihrer Vermittlungstätigkeit zurechtgelegt. Die Palette reicht vom Zuhälter, der an junge Frauen für den deutschen Strich kommen will, bis zur glücklichen Eheschließung. „Es kam einmal ein Mann aus Hamburg mit Zopf, Goldkettchen und Lederjacke. Der hat gesagt, daß er eine russische Freundin sucht. Er hat 150 Dollar bezahlt. Wir haben ihm die Karteikarten vorgelegt. Er hat sich schöne Mädchen ausgesucht und fing an, sich mit denen hier in Moskau zu treffen. Eins von den Mädchen rief außer sich bei mir an und sagte: Tamara, stellen Sie sich vor, was er mir erzählt hat. Er hat mir gesagt, ich will mit dir leben. Wenn du in Hamburg leben willst, wirst du für mich arbeiten und dich mit Männern auf der Straße treffen und mir das Geld bringen. Fünf solche Mädchen wollte er haben.“

Aber natürlich, die Geschäftsfrau, die auf Seriosität ihres Instituts besteht, weiß auch gutes zu berichten. „Angie“, Frau Schkunowa spricht den Namen englisch aus, „mein blonder Engel aus Saratow“. Frau Schkunowa verdreht die Augen und blickt verzückt zur Decke, zeigt dann die Karteikarte mit dem Bild von Olga. „Sie ist ein ganz einfaches Mädchen, 21 Jahre alt. Ihre Eltern sind Arbeiter. Ich habe sie mit Nikolas aus Frankfurt zusammengebracht. Er guckte in unsere Kartei, aber er wollte nur die eine haben: Angie. Sie ist arbeitslos, und auch ihre Eltern haben keine Arbeit mehr. Ich sagte zu Olga: Treib irgendwo Geld auf. Sie lief die ganze Stadt ab und trieb das Geld auf, um hierherzukommen. Nikolas aus Frankfurt ist zurückgefahren und hat ihr 1.000 Dollar dagelassen, für den Paß, das Visum, das Ticket und das Schmiergeld.“

Nachdem Frau Schkunowa das Bild von Angie-Olga gezeigt hat, öffnet sie ihre Handtasche und holt das Bild ihrer Tochter heraus. Die hat einen Juristen in New York geheiratet. Sie arbeitet jetzt dort in einer Heiratsagentur. Ob Mutter und Tochter geschäftlich miteinander zu tun haben, will die Vermittlerin nicht verraten. Nur soviel gibt Frau Schkunowa preis: „In den letzten drei Jahren sind 300 Frauen in die USA ausgereist. An zweiter Stelle kommt Deutschland mit 200 Mädchen. Es gab keine einzige Scheidung. Alles ist high class. Hundert junge Frauen leben in Skandinavien. 80 leben in England. Dann kommt Kanada. Keine von ihnen hat sich scheiden lassen oder ist zurückgekommen.“ Frau Schkunowa hat sich warmgeredet. Sie nippt an ihrem Glas mit dem roten Sprudel und guckt kurz prüfend in den kleinen Handspiegel. Die Heiratsvermittlerin berichtet von ihrer Kundinnenkartei. Bevor die männlichen Interessenten einen Blick hineinwerfen dürfen, zahlen sie 150 Dollar. Die Russinnen müssen für die Aufnahme in die Kartei 80.000 Rubel auf den Tisch legen. Das ist in Rußland zur Zeit etwa das Mindestgehalt.

Frau Schkunowa will nichts dem Zufall überlassen. Damit die Bewerber aus Deutschland und anderen westlichen Ländern ein möglichst geringes Risiko eingehen, wurde ein Fragebogen entwickelt, der das private Leben der Bewerberin offenlegen soll. Erfragt werden nicht nur das Alter, die Figur, die Farbe der Augen und der allgemeine Gesundheitszustand. Die Bewerberinnen sollen auch ihr monatliches Hauhaltsbudget und den verfügbaren Wohnraum angeben. Die Allianz-Agentur möchte auch wissen, mit wem die Bewerberin zusammen wohnt, ob sie noch verheiratet ist. Falls die Interessentin geschieden ist, erwartet man, daß sie die Gründe der Scheidung nennt. Schließlich fehlt nicht die Frage nach den Kindern und möglichen Unterhaltsverpflichtungen.

„Ich meine, die besten Ehen werden mit Deutschen geschlossen“, sagt die Heiratsvermittlerin. „Ich kann auch erklären warum. Weil die Russinnen einen weichen Charakter haben. Wenn sie nach Deutschland kommen, fangen die Deutschen gleich an sie zu erziehen. Sie beginnen mit schwerer Erziehung. Sie schreien. Sie soll anders sauber machen, die Fenster öfter putzen. Sie muß sich wie eine Lady benehmen, sehr streng. Und unsere Mädchen lernen sehr schnell und gut. Und in einem Jahr nehmen sie alles auf, und dann sind die Deutschen total zufrieden, so glücklich.“

Frau Schkunowa hat über ihre Agentur bereitwillig Auskunft gegeben. Doch später ist sie nicht mehr so gesprächig. Als es um Interviews mit Heiratsinteressentinnen geht, meint sie am Telefon: „Unsere Mädchen wollen keine Interviews geben.“

Aber es gibt in Moskau noch andere Heiratsagenturen, die Interswacha, zum Beispiel. Die Agentur arbeitet seit drei Jahren unter dem Dach der Zeitung Schenskije Delo (Frauensache). Das Büro aus Stellwänden befindet sich in einer größeren Halle. Man hat den Raum mit bunten Bildern modisch gekleideter Frauen und Photos von Urlaubsstränden verschönert. Dreimal in der Woche empfängt die Heiratsvermittlerin, Tatjana Scharowa, in ihrem Büro Interessentinnen aus Moskau und anderen Städten der GUS.

An einem Nachmittag sitzt dort auch Wika, eine Ukrainerin mit langen schwarzen Locken. Wika ist 21 Jahre alt und will in die USA. Weil sie jüdische Vorfahren hat, möchte sie gerne in der Nähe einer größeren jüdischen Gemeinschaft leben. In Moskau lebt Wika erst seit einigen Monaten. Ihre Jugend hat sie mit ihren Eltern in Taschkent verbracht, der Hauptstadt der ehemaligen Sowjetrepublik Usbekistan. Dort wollte sie nicht mehr leben. Ohne die Kenntnis der Landessprache wird es immer schwerer, eine Arbeit zu finden, meint sie. „Wir haben Usbekisch zwar in der Schule gelernt, können es aber nicht sprechen. Selbst wenn wir usbekisch sprechen könnten, wäre die Beziehung zu den Usbeken schlecht. Stark geschminkt kann man dort nicht auf die Straße gehen, weil da Muslime leben. Auf der Straße kann man geschlagen werden. Das habe ich einmal erlebt. Wenn du auf der Straße mit kurzem Rock gehst, kommen junge Männer und stoßen dich von der Treppe oder werfen mit Steinen.“

In Moskau will Wika auch nicht bleiben, zu gefährlich. Wika weiß nicht genau, was sie im Ausland erwartet. Aber sie hat einfach Lust, es auszuprobieren. Sie will Englisch lernen und sich in den USA eine Arbeit suchen. Nur Hausfrau sein, das ist ihr zu langweilig. Zum Schluß meint sie lachend: „Wer nichts riskiert, trinkt auch keinen Champagner.“

Vera ist zwanzig Jahre älter als Wika. Auch sie füllt bei Interswacha ihren Bogen mit den persönlichen Daten aus. Die Frau aus Omsk ist nur auf der Durchreise. Sie ist Händlerin und fährt nach Polen weiter. In Omsk unterrichtete sie Deutsch. Ihre Arbeit als Lehrerin hat sie verloren. Die Wohnung in Omsk muß sie sich mit den Familien der beiden Töchter teilen. Auf die Frage, was sie sich an konkreten Veränderungen verspricht, meint Vera: „Vielleicht bekomme ich Liebe, Verständnis, Arbeit.“ Liebe erwartet sie in Omsk nicht mehr? „Unsere Männer sind nicht so arbeitsfähig wie in Deutschland, nicht so ehrlich, nicht so offen. Die möchten, daß ich das Arbeitspferd bin. Ich muß alles tun, Geld verdienen, Wohnung saubermachen, nähen, waschen und so weiter. Das ist nicht so einfach. Ich muß aber auch fühlen, daß ich eine Frau bin, daß ich etwas koste.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen