„Kinkels Äußerungen sind unhaltbar“

■ Der CDU-Abgeordnete Friedbert Pflüger zur Bonner Tschetschenien-Haltung

taz: Außenminister Kinkel behauptet, der Krieg in Tschetschenien sei lediglich eine innere Angelegenheit der Russischen Föderation. Empört Sie denn nicht eine solche Argumentation der Bundesregierung, die doch selbst Menschenrechtsverletzungen durch das russische Militär konstatiert?

Pflüger: Die Äußerung von Herrn Kinkel ist unhaltbar, weil sie der erklärten Politik der Bundesregierung widerspricht. Diese hat immer darauf hingewiesen, daß Menschenrechtsverletzungen keine innerstaatliche Angelegenheit darstellen. Gerade die Bundesregierung hat doch im vergangenen Jahrzehnt das Ende des „Prinzips der Nichteinmischung“ erfolgreich in der Staatengemeinschaft durchgesetzt. Wir können nicht Somalia, Kambodscha und Bosnien zu unserer Sache machen und gleichzeitig erklären, daß Tschetschenien allein Sache Rußlands ist.

Ist denn die Behauptung Außenminister Kinkels richtig, der Westen habe keine Möglichkeit zum Eingreifen?

Wenn die Zurückhaltung der Einsicht in unsere unzureichenden Einflußchancen entspringt, dann habe ich Verständnis. Nicht aber, wenn sie aus der Kapitulation vor überholten Völkerrechtsprinzipien erfolgt.

Kohl hat ein sehr gutes Verhältnis zu Jelzin, die beiden Politiker duzen sich seit 1992. Hat er deshalb nicht eine besondere Verantwortung, muß er nicht persönlich auf seinen Freund Boris einwirken und auch mit der Kündigung dieser Freundschaft drohen?

Ich habe Verständnis für die Zurückhaltung Helmut Kohls. Es zeichnet ihn aus, daß er sich von Freunden nicht einfach abwendet. Moralische Empörung reicht für den Kanzler nicht aus, er muß nach Alternativen zu Jelzin fragen. Ob die besser sind? Denken Sie nur an Schirinowski! Aber ich bin dafür, daß Regierung und Bundestag dem russischen Präsidenten vor Augen führen, daß die Bomben auf Grosny zugleich die russische Demokratie und das Verhältnis Moskaus zum Westen bedrohen.

Aber schwächt das Verhalten der Bonner und anderer westlicher Regierungen nicht die russische Demokratiebewegung, die das Vorgehen Jelzins hart kritisiert?

Wir dürfen die Demokraten in Moskau nicht entmutigen. Noch stärker als bisher müssen wir auf Regierungs- und Parlamentsebene Kontakte in alle demokratischen Lager Rußlands aufbauen. Vertrauen schaffen wir bei den Demokraten in Rußland nur, wenn wir unseren eigenen Maßstäben treu bleiben.

Sie haben gute Verbindungen zur polnischen Regierung. Mit welchen Gefühlen sehen denn die Menschen in den mittel- und osteuropäischen Staaten (MOE- Staaten) die Entfesselung der russischen Militärmaschine?

Seit Herbst 1993 verschärft sich der Kurs der russischen Außenpolitik. Von der Hegemonie-Doktrin vom „Nahen Ausland“ über den Ruck gegen die Nato-Osterweiterung bis zum Inferno im Kaukasus führt eine Linie der Eskalation. In Mittel- und Osteuropa, zumal im Baltikum und in Polen, sieht man das mit großer Besorgnis. Deshalb ist der Wunsch der MOE-Staaten nach rascher Nato-Mitgliedschaft verständlich.

Die Bundesregierung behauptet, der Krieg in Tschetschenien habe keinen Einfluß auf Pläne zur Nato-Erweiterung. Stimmt das?

Angesichts des aggressiven Gebarens der russischen Außenpolitik muß die Nato-Erweiterung schneller vorgenommen werden. Nicht die Ausdehnung der Allianz, sondern die großrussische Politik im Kreml schafft neue Trennlinien in Europa. Hoffentlich müssen wir uns nicht einmal vorwerfen, die Chance für die sicherheitspolitische Stabilisierung der Demokratie in Mittel- und Osteuropa nicht genutzt zu haben. Interview: Hans Monath