Rodelgejodel

■ Bremer Berge, Bremer Wunder: vom Schlittenfahren in Bremen

Die Verzauberung Bremens, wenn denn mal einige Zentimeter Schnees auf der Stadt liegen, ist eine weitgehende. Nicht zuletzt geht es um ein Wunder, das „Bremer Wunder“.

Die Überzuckerung Bremens läßt uns seine wahre Topografie erahnen – Bremen ist ein Bergland! Es gibt einen Hexenberg, einen Panzenberg, einen Jakobsberg, einen Krähenberg und viele andere. Das Wissen um die Berge Bremens ist lebendig unter einer derzeit sehr aktiven Gruppe Einheimischer – unter den Rodlern. Todesmutig stürzen sie sich ein ums andere Mal von den Bremer Anhöhen, und weit schallt ihr Jauchzen.

Der kleinste Bremer Rodelberg steht in Findorff, direkt bei der original Jan-Reiners-Lokomotive Hemmstraße Ecke Fürther Straße. Er verdankt sich einer hier nicht zu kommentierenden landschaftsarchitektonischen Entscheidung, ist also künstlich und etwa 1,50 Meter hoch. Hier toben die Jüngsten der Rodler hinab, begleitet von den ängstlichen Blicken ihrer Eltern.

Der größte Bremer Rodelberg liegt am Werdersee und heißt Krähenberg. In einer katholischen Gegend hielte man ihn für ein Werk des Teufels, wie er da so unmotiviert liegt. Man erreicht ihn via Kuhhirten durchs gepflegte Gebiet des „Kleingartenvereins Krähenberg e.V.“ oder – hier fallen die Neustädter ein – durch den Deichschart. Letztere Anreise ist weit und ein Problem für Kleinkinder: Sie lassen sich die komplette Strecke von Vati auf dem Schlitten ziehen und sind am Rodelhang durchgefroren und knatschig.

Nähert man sich dem Krähenberg, hört man schon von ferne das typische Rodelgejodel. Ein Schild erklärt: „Liegewiese“. Die Abfahrt ist nur für Profis, sie ist gern vereist, die Rodler arbeiten mit der Notbremse und fahren tief ins angrenzende Gebüsch. Hier lassen sich Lenkschlitten bestaunen und gewisse Spezialhaltungen wie „Sohn-auf-Vater“: Vater liegt auf dem Schlitten, Sohn obenauf und krallt sich an Vaters Ohren fest.

Natürlich hat jeder Stadtteil, ja geradezu jede Nachbarschaft ihre Steilabfahrt. In Lesum verdanken wir der Lesum einen tiefen Taleinschnitt, so daß Eisbahnen in Knoops Park entstanden sind. Walle hat seinen Berg im Waller Park, der von Zugereisten despektierlich „Pißpott“ genannt wird, aber extrem schnell ist. Pusdorf hat einen „alten Schutzdeich“, wo kleine Pusdorfer in Nullkommanix drei Meter tief sausen (bei Brinkmann, wo der „Schleich“verkehr vom GVZ vorbeikommt). Das Steintor hat seinen Osterdeich, besonders nahe den Weserterrassen. Und das Ostertor zieht zur Altmannshöhe, genannt „Theaterberg“. Hier begegnet man dem „Bremer Wunder“: Abfahrten, schnelle Abfahrten, riskante Steilabfahrten, die beinahe im Schaufenster des Kunsthallencafés enden, sind möglich ohne eine einzige Schneeflocke! Bremer Rodler rasen braune Erdhügel hinab! Kein Witz!

Die landschaftlich schönste Abfahrt findet man im Bürgerpark, am Emmasee, mit Blick aufs Parkhotel. Oben stehen die Omas und bangen, unten stehen die Väter und fangen (weil gleich der noch nicht sicher vereiste See anfängt). In Grüppchen halten sich die Mütter auf und üben einen eigenartigen Tanz aus, eine Art Hüpfen auf der Stelle. Das kommt von den kalten Füßen, weil sich Eltern an Rodelbergen fast nie bewegen.

Der überflüssigste Rodelberg ist der, welcher amtlich „Rodelberg“ heißt und am Weseruferpark in Rablinghausen liegt. Er hat eine ausladende Treppe für den Aufstieg, ist beinahe zwei Meter hoch und hat im Hang ein Gefälle von ca. 1 Prozent. Angrenzende Kinder brechen bei seiner Erwähnung in Hohngelächter aus, zum Beispiel Marina. Ihr Schlitten heißt „Flitzi“, und am nahegelegenen Deich rast sie über eine installierte Sprungschanze atemlos in die Tiefe. Sie ist stolz, daß sie sich schon „oft überschlagen“ hat. Aus solchem Holz sind die Bremer Berg-Rodler, und aus keinem anderen.

Burkhard Straßmann