Weiter Rätsel um versunkene Stadt Rungholt

■ Schleswiger Archäologen nehmen Stellung zur zweiten Entdeckung: „Weder sensationell noch neu“

Schuld war der Alkohol. So jedenfalls will es die Legende. Gottlose Trunkenbolde wollten einem Priester eine Sau als angeblichen Todkranken unterschieben, der er das Abendmahl reichen sollte. Der lästerliche Trug flog auf, der Priester floh, doch die Bösewichte entwendeten ihm die Büchse mit den heiligen Sakramenten und soffen daraus munter weiter.

Die Folgen der ruchlosen Tat sind historisch. Der Gottesmann, von christlicher Nächstenliebe nicht sonderlich angekränkelt, betete um Bestrafung der Frevler. Und die folgte prompt: Eine ungeheure Sturmflut, die „Große Mandränke“, durchbrach die Deiche. Rungholt - von dort stammten die Missetäter -, die reiche und große Küstenstadt, ging unter, 4000 Menschen ertranken. Das war 1362.

Seither beschäftigte Rungholt vor allem die dichterische Fantasie und nordfriesische Archäologen. Und neuerdings auch den Bremer Ethnologen Hans Peter Duerr. Der behauptet, Rungholt im Watt gefunden zu haben, und zwar im Gegensatz zu bisherigen Annahmen nicht südwestlich, sondern eindeutig nördlich der Hallig Südfall (die taz berichtete). Und warf dem schleswig-holsteinischen Landesamt für Vor- und Frühgeschichte vor, nicht nur seine spektakuläre Entdeckung zu unterdrücken, sondern ihn auch mißgünstig von weiteren Forschungen fernzuhalten (tatsächlich läuft gegen Duerr derzeit ein Ermittlungsverfahren wegen Raubgrabung). Zudem würden wesentliche Erkenntnisse verschwiegen: Der bislang als Rungholt-Relikt geltende, im Husumer Nissenhaus ausgestellte Schleusenbalken sei anhand der C-14-Methode längst ins späte 17./frühe 18. Jahrhundert datiert worden.

Das Landesamt reagierte mit Stellungnahmen, Leserbriefen und – gestern – mit einer Pressekonferenz. Ausführlich legte Prof. Joachim Reichstein, Leiter des Landesamts, dar, daß die Duerrschen Entdeckungen weder sensationell noch neu seien. Und schon gar nicht könne von sagenhaftem Reichtum gesprochen werden: „Es kann nicht die Rede davon sein, daß ,eine ganze mittelalterliche Stadt' im Wattenmeer zu suchen wäre“, zerstört Reichstein gnadenlos den beliebten Mythos. Vielmehr habe es sich bei der Besiedelung um Südfall um „einzelne Warftgruppen“ gehandelt, deren „Bewohner ... am Fernhandel teilgehabt haben.“ Und mit Hieb auf den archäologischen Laien Duerr, der unter anderem ein Langhaus und eine Kirche gefunden haben will: „Wo ein Laie die Reste von Häusern, Kirchen und Feuerstellen zu sehen glaubt, kann ein Fachmann dank langjähriger Kenntnis derartiger Siedelreste durchaus zu einem anderen Ergebnis kommen.“ Der berühmte Schleusenbalken übrigens sei noch gar nicht mit der C-14 -Methode untersucht worden, das stehe noch aus.

Hans Peter Duerr konnte zu den Ausführungen des Professors nicht dezidiert Stellung nehmen, sie lagen ihm gestern nicht vor. Aber, so gibt es zu bedenken, Rungholt könne nun wirklich nicht wüdwestlich von Südfall gelegen haben, da diese Gegend 1362 gar nicht untergegangen sei, sondern zunächst weiterbesiedelt worden, bis sich später das Meer das Land holte.

Die Äußerungen von Reichstein seien „die alten Theorien, man weiß im Grunde nichts über diese Zeit“. Sonderbar sei dabei allerdings, daß das Landesamt konsequent die Mithilfe verweigere. So habe er schon seit langem um ein Holzstück des Balkens gebeten, um es datieren zu lassen – vergeblich. Und auch die Pläne des nördlichen Südfall-Bereichs (laut Landesamt ausfürlich dokumentiert) wurden ihm verweigert – Begründung: Es sei im Fach nicht üblich, solche Angaben Dritten zu überlassen.

Birgit Hoyer