Sanssouci
: Vorschlag

■ Wie sich das Silvestergrauen 1995 vermeiden ließe

Neujahr ist der schlimmere Aschermittwoch. Wer nicht verkatert im Bett liegt, muß abwaschen und denkt dabei an die Versicherungsbeiträge, die im Januar fällig werden. Vorösterliches Fasten ist nur noch was für fanatische Katholiken, ab Neujahr aber wird allenthalben gehungert, um die beispiellosen Fressereien und Besäufnisse zwischen den Jahren wieder gutzumachen. Und in den Fernseh-Silvestergalas feiern Ententanz und das Nippel- Laschen-Lied größere Triumphe als auf irgendeiner Prunksitzung. Überhaupt kann man dem Karneval problemlos aus dem Weg gehen. Während meiner Kindheit in Bonn lag ich rosenmontags gern bäuchlings auf der Platte der Wohnzimmerheizung, schaute in den Schneeregen hinaus und freute mich, daß ich nicht als Funkenmariesche mitmarschieren mußte. Silvester ist das anders, dem entgeht keiner so leicht.

Es gibt einen starken gesellschaftlichen Druck, an diesem Abend was ganz Tolles zu machen. Die hochgespannten Erwartungen lassen so gut wie alle Jahresendfeiern floppen. Eine relativ sichere Sache ist dagegen, in ein kleines Dorf in der Provinz zu verreisen. Das Schneegestöber wird dichter, die Hofhunde heulen, das Blei schmilzt leise, feierliche Schauer rieseln den Rücken herunter, Hoffnungen und Befürchtungen, daß alles anders wird... Am Neujahrstag ist natürlich alles wie gehabt. Von Zukunft keine Spur. Zu Silvester ist „Dinner for One“ ein tröstliches Symbol der Dauer. Überhaupt könnte das alles eine Menge Spaß machen, wenn die Medien die Illusion eines Wechsels nicht so penetrant aufrechterhalten würden.

Propheten und Prognostiker geben sich die Klinke in die Hand, ein Jahresrückblick jagt den nächsten. Frech erhob die Silvesternummer der Woche alle Personen, die zwischen Titelblatt und „Menschen“-Seite vorkamen, zu „Köpfen des Jahres“. Und das SZ-Magazin druckte seitenweise unsortierten Nachrichtenplunder und nannte das „1000 gute Gründe, über 1994 den Kopf zu schütteln“. Vieles wurde aus der wohlverdienten Vergessenheit gerissen: daß in Japan ein Beerdigungsroboter eingesetzt wird (Nr. 588), Hillary Clinton ihren Koch entlassen hat (Nr. 119) und 90 Prozent der deutschen Arbeitnehmer sich eine angenehme Atmospähre auf der Betriebstoilette wünschen (Nr. 14). Kopfschüttelnd macht man sich an das lustige Jahresrückblick- Silbenrätsel im Zeit-Magazin. Gesucht wird unter anderem „Schimpfwort für Millionensummen“ aus den Silben „nuts-pea“. Da klingelt was. Das wäre doch beinahe das „Wort des Jahres“ geworden? Jetzt ist der Jahreswechsel-Rummel erst mal vorbei – aber nur scheinbar. Die Qualifikationsrunden für den Mann, die Frau, das Lied, die Katastrophe des Jahres 1995 haben wir schon. Und gefeiert wird auch bald wieder. Am 27. Februar ist Rosenmontag. Miriam Hoffmeyer