Weise Wollmützenknaben

Ghetto, Gangs, Rap & Rebellion in den USA – das Eiszeit-Kino zeigt vier Filme, die versuchen, das Lebensgefühl der American Kids der 80er und 90er authentisch abzubilden  ■ Von Andreas Becker

Jungs stehen in einem Steinbruch und machen Schießübungen. Von einem sehen wir statt des Gesichts nur eine gestreifte, zusammengeknotete Kapuze. „Niemals werden wir unsere Waffen niederlegen“, sagt einer. „Ich habe schon zwanzig Leute umgelegt.“ – „Die Jungs waren immer so nett, haben draußen unter dem Baum da gespielt.“ Die Mutter steht vor ihrem weißen Häuschen in South Central Los Angeles, fährt mit dem Finger durch die Luft, der Rasen ist sehr grün. In welcher aller möglichen Welten sind wir hier gelandet?

„Eight Tray Gangster: The Making Of A Crip“ gibt sich als Dokumentarfilm über die Brüder „Monster Kody“ und „Li'l Monster“ Scott aus. Er ist einer von vier Filmen, die sich mit der Geschichte des Gangwesens in den USA beschäftigen und die ab dieser Woche im Eiszeit-Kino laufen. The Making Of A Crip führt uns zwei Brüder vor, die sich hauptsächlich durch die Trennscheibe des Knasts miteinander unterhalten.

Man müßte recht gut englisch können, um das Amerikanisch der „Ghetto-Kids“, um zu kapieren, was die real brothers der Monsterfamily an Botschaften zu übermitteln haben. Ich habe höchstens die Hälfte der Message verstanden.

Diese erschließt sich aber wohl auch nur zum Teil verbal. Regisseur Thomas Lee White („New Jack City“) versäumt leider, die Produktionsbedingungen des Films mitzureflektieren. Da wird so getan, als sei unseren Bandenkids nicht dauernd bewußt, daß sie in die Kamera sprechen, zu einem imaginären, möglicherweise sehr großen Publikum.

Und so erfahren wir im Endeffekt wenig Neues über die Riots, die 1992 nach der Nichtverurteilung der prügelnden Bullen des Rodney-King-Videos halb South Central in Schutt und Asche legten. Viel Posing schön viele Schauer des Grauens und viel Kopfschütteln stellt sich ein, wenn man hört, daß Tausende von Kids der Hauptgangs „Bloods“ und „Crips“ sich in Drive-by-Shootings gegenseitig über den Haufen schießen. „Die Gang ist meine Familie, und das wird sie immer bleiben.“

Trotzdem stehen die großen Gangjungs dann irgendwann mit der Ehefrau in einem Garten, der so aussieht wie der der Mutter. Sie haben ein Kind auf dem Arm, sind unheimlich nette Papis. Und natürlich weiß man, irgendwann wird auch dieses Kind, so mit 10, 12 Jahren in eine Gang gehen und sich irgendwann, nur um sich zu verteidigen natürlich, einen Ballermann in den Hosenbund stecken.

Monster Kody versucht den Schießereien eine politische Dimension zu geben. Er kämpft mit der Knarre gegen den Staat, der die Ghettos seit den Riots scheinbar völlig sich selbst überläßt. In Compton zum Beispiel wendet man inzwischen 75 Prozent des Gesamtbudgets der Gemeinde nur für „innere Sicherheit“ auf.

Vielleicht ist das Positive an Making Of A Crip gerade der Widerwille, der sich einstellt, jemandem zuzuhören, der damit prahlt, zwanzig Leute erschossen zu haben, und dem nicht einmal ein Interviewer gegenübertritt, der versucht, dessen Selbstdarstellung zu hinterfragen. Es ist, wie es ist, und wir wissen immer noch nicht, warum.

In der Dokumentation von Maxi Cohen werden mehr Fragen gestellt, als triviale Antworten gegebend. Das Dilemma des Dokfilmers wird benannt: „Wenn der Typ vor der Kamera steht, wird er zum Macho. So wie die Kamera aus ist, ist er wieder ganz normal.“

Maxi Cohen hat Bewohnern von South Central die Videokamera selbst in die Hand gedrückt. Unser Unverständnis – jenseits von billigen, ethnischen Schwarz- Weiß-Erklärungen – kehrt plötzlich auch bei den Bewohnern wieder. Die Koreanerin, die nach den Riots zurück nach Korea gegangen ist, versteht nicht, warum schwarze Polizisten ihren Vater daran gehindert haben, die Plünderung seines Ladens zu verhindern. Nach drei Stunden Haft jedenfalls war das Geschäft leergeräumt und ausgebrannt. Eine von zahllosen Ruinen, bis heute nicht wieder aufgebaut.

Und wenn man den Interviewten ein wenig zuhört, erfährt man doch etwas über die Gründe, warum sich Afroamerikaner, Latinos und Koreaner in den Ghettos bekriegen. Welche anderen Feinde sind schon greifbar. Das „System“? Die Reichen? – Aufgegebene Läden wurden häufig von Koreanern übernommen, und die kann man jetzt dafür hassen, daß sie an dem Snickers verdienen, das man bei ihnen kauft. Die Koreaner fühlen sich inzwischen von der Polizei bedroht – vor allem von schwarzen Polizisten, deren Existenz einmal ein Fortschritt in dem Viertel war.

Auch Ice-T wohnt nicht mehr „in the hood“, seit er es sich leisten kann. „Ich bin aber einer der größten Kautionsgeber“, sagt er, in der Rolle des weisen alten Wollmützenknaben, bei einem Treffen, auf dem Frieden zwischen den Gangs geschlossen werden soll.

Unideologische Zwischentöne machen bei Cohen die Musik. Eine schwarze Friseuse erzählt beim Haareschneiden, sie könne es nicht mehr ertragen, daß ihr Mann ständig Weiße für seine Arbeitslosigkeit verantwortlich macht: „Das ist eine tolle Ausrede, damit er den ganzen Tag lang rumhängen kann, und ich darf arbeiten und dann auch noch abwaschen.“

Gangs- & Rapper-Dokumentarfilme: „Eight Tray Gangster:

The Making Of A Crip“, bis 11.1 (außer 9.1.), 23 Uhr;

„Flyin' Cut Sleeves Children of the Streets: Lives in Progress“,

9.1., 21.30 Uhr;

„L.A. – Voices From The Inside“, 11.–17.1., 19 Uhr;

„Style Wars“, 9.1., 23 Uhr,

alle im Eiszeit-Kino, Zeughofstraße 20, Kreuzberg,

Telefon: 6116069.