Die Patticoat-Fixion

Konzeptionell falsche Schreibweise als Garant für Originalität? Eine Amerika-der-20er-Erlebniskneipe mit dem passenden Namen „Al Capone“ soll Schwarzmarktflair ausgerechnet ins Zentrum von Lichtenberg bringen  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Der Großstädter ist eher provinziell organisiert. Seine Aufmerksamkeit konzentriert sich auf einen Bereich, der kaum größer ist als der einer Kleinstadt. Jenseits von Kreuz-, Prenzel- und Schöneberg, Mitte, Charlottenburg beginnt die Fremde. Lichtenberg zum Beispiel kennt man eher gerüchteweise: alkoholsüchtige Teeniemädchen ziehen dort ständig singend mit Korn durch die Gegend, finstre rechte Mordgesellen treiben in ungastlichen Hochhaussiedlungen ihr schändliches Wesen. Ab und an fährt ein Zug nach Irgendwo.

Im Zentrum der Peripherie steht seit ein paar Monaten das „City Point Center Lichtenberg“, das nun mit drei gastronomischen Einrichtungen der „Whoomp Sport & Show Organisation GmbH“ verbessert wurde. Das „futuristisch gestaltete Bistro ,Corner‘“ am Eingang der Ladenstraße „fängt die eiligen Gäste zu einem niveauvollen Imbiß ein, die Eisdiele „Patticoat“ neben der Wäscherei „Das Tor zu einer sauberen Welt“ ist im Stil der fünfziger Jahre gehalten, und „auch die Verkäuferin besitzt den Charme dieser verrückten Zeit“.

Um der herrschenden Tristesse neue, „unbegrenzte Möglichkeiten“ abzugewinnen, eröffnete Ende Dezember zudem „die konzeptionell in Deutschland einmalige Erlebnis-,Kneipe‘“: „Al Capone“.

Die Gaststätte atme „das Flair der 20er Jahre, man ist in Amerika, man spürt den Hauch eines kleinen Abenteuers“ hieß es in der Presseinformation der Betreiber und: „In der verbotenen Kneipe passieren unerwartete, außergewöhnliche Dinge, der Gast wird in den Bann einer ungewöhnlichen Zeit gezogen (...) die Fixion wird zur Realität .... Vielleicht treffen Sie ja Hamphrey Bogart oder Phillip Marlowe“.

Die Einladung schien auf einen schwejkschen Ort des Widerstands gegen die Westbesatzerkultur zu deuten, dessen kreative Schreibweisen den wilden Countryclub in Blumberg – „Flower Mountain“ – noch um Längen übertreffen sollte. Ein Ort, an dem falsch geschriebene Schauspieler sich von ihren falsch geschriebenen (Philip!!) Rollen trennen, Bedeutung und Bedeutetes eigene Wege („Fixionen“) gehen, kurz alles interessant sein würde.

So war's denn auch, wenn auch nicht ganz im Sinne der Betreiber, die wegen finanzieller Engpässe nicht so recht fertig geworden waren (Gesamtkosten: eine Million Mark). Handwerker hämmerten noch da und dort; Arbeiter trugen Kulissen durch die Gegend, und der kleine dicke Unternehmensberater von „Whoomp“ stand am Tresen und trocknete Geschirr ab.

Zur Zeit spürte man „nur den Hauch davon, was man eigentlich erreichen will“, sagte traurig Peter Brüggemann, einer der beiden Geschäftsführer. Macht ja nichts; wenigstens waren die pfiffigen Getränkekarten fertig geworden, auf denen man das Alkoholangebot nur mit einer komischen roten Brille entziffern kann.

Während sein sympathischer Mitgeschäftsführer Werner Kazubek stets schüchtern lächelnd verloren am Eingang mit seinen Fingern spielte und sich in seinem schlecht sitzenden komischen Konfirmantenanzug sichtlich unwohl fühlte, präsentierte sich Herr Brüggemann – nebenbei auch Gesellschafter des „Kartoon“ – sehr weltgewandt.

Mit der Kneipe solle nicht so sehr der Verbrecher Al Capone, vielmehr solle seine Zeit geehrt werden, erklärte der smarte vierzigjährige Grauzopf- und Handyträger, dessen Firma ansonsten Kulissen für diverse Fernsehshows bei „Sat.1“, „Pro7“ und den „MDR“ liefert. Das anvisierte Publikum, normale Menschen um die Vierzig, sei „positiv emotional belegt, was die Zeit betrifft“. Leider seien die angesprochenen Sponsoren – Ford und Coca-Cola – sehr zurückhaltend gewesen. Nur Philip Morris hätte ein paar Aschenbecher gestiftet; das bräuchte ich aber nicht zu erwähnen.

Die Kneipe sei sowieso eher eine Art Abfallprodukt; eigentlich hätten sich die drei Gesellschafter von „Whoomp“, für ein anderes „Projekt“ zusammengefunden gehabt, das ab Mitte 1995 „Sport, Show, Gastronomie und Medien zusammenführen und 800 bis 1.000 Jugendliche sowie Junggebliebene ansprechen wird“. Dafür würden die Sponsoren bereits Schlange stehen.

Doch „jetzt müssen wir erst mal Al Capone vermarkten“, sagte Herr Brüggemann und eilte hurtig auf die Bühne, seine Eröffnungsrede zu halten, in der er sich recht herzlich bei seiner und auch den Firmen seiner Mitgesellschafter bedankte für die Mitarbeit an der „Konzeptkneipe“.

Eine Weile sorgte „Opa Paaschs Rock 'n' Roll Kapelle“ noch für Stimmung, hübsche Blumenbuketts kamen des Wegs, festlich gekleidete Ost-Seilschaftler zwischen vierzig und sechzig (alle Männer trugen Zöpfe) rannten einander am Buffet über den Haufen. „Tammi“ (Tamara Danz), deren Teilnahme mir Herr Brüggemann zuvor zugesichert hatte, kam wohl erst später. Ich ging.

Al Capone („Das Lokal der unbegrenzten Möglichkeiten“), Weißenseer Weg 112 (City Point Center, Eingang Paul-Junius-Straße), Lichtenberg.