: Ein Patriot, Soldat und Widerständler
Das ehemalige Hauptquartier der Franzosen, „Quartier Napoléon“, wurde mit einem Festakt in Julius-Leber-Kaserne umbenannt / Künftiger Hauptstandort der Bundeswehr in Berlin ■ Von Dorothee Winden
In der Kälte stehen die jungen Soldaten des Wachbataillons schon seit einer Viertelstunde völlig regungslos. Rechts stehen die Männer in den dunkelblauen Uniformen der Luftwaffe, links die in den grauen Uniformen des Heeres und in der Mitte die Marinesoldaten mit den weißen Mützen. Das Luftwaffenmusikcorps IV aus Gatow marschiert auf den Platz.
Auf den Tag genau vor fünfzig Jahren starb tausend Schritte vom ehemaligen Quartier Napoléon entfernt Julius Leber. Der Widerstandskämpfer wurde in der Hinrichtungsstätte Plötzensee von den Nazis umgebracht. Gestern wurde das Militärgelände, das zuletzt die Truppen der französischen Alliierten beherbergte und nun Hauptstandort der Bundeswehr in Berlin ist, mit einem Festakt in Julius-Leber-Kaserne umbenannt.
Dem Sozialdemokraten war im Zusammenhang mit dem Attentat des 20. Juli 1944 der Prozeß gemacht worden. Die Benennung nach einem Widerstandskämpfer sieht das Bundesverteidigungsministerium ausdrücklich als eine „Standortbestimmung“ der Bundeswehr.
Bei der Namensgebung ist nicht die seltene parteipolitische Großzügigkeit verwunderlich. Denn Leber bietet sich auch den Konservativen als Identifikationsfigur an. Aus Patriotismus meldete er sich im August 1914 als Kriegsfreiwilliger.
Von 1923 bis 1933 saß der promovierte Wirtschaftswissenschaftler für die SPD im Reichstag. Sein Ausspruch „Wir wollen aus dem Soldaten einen Staatsbürger machen, der bereit ist, für seinen Staat, den er kennt und liebt, seine Pflicht zu tun, eventuell sein Leben hinzugeben“ ist neben einigen biographischen Daten auf der Gedenktafel am Eingang des Geländes festgehalten.
„Gewehr präsentieren!“ heißt es, und wie ein Mann heben die Soldaten des Wachbataillons die Karabiner. Beim Absetzen erzeugen sie ein einziges, sekundenlanges Klacken. Mit dem Kommando „Augen rechts!“ blicken sie zu den drei Gestalten, die auf dem schmalen Sandweg hinter dem von zwei Soldaten getragenen Kranz herschreiten.
Gedämpfter Trommelwirbel. In der Mitte die Tochter von Julius Leber, Katharina Christiansen-Leber, in Schwarz gekleidet. Zu ihrer Linken ein sichtlich bewegter Altbundeskanzler Helmut Schmidt. In seiner Rede hatte er Leber ein „Vorbild für die Deutschen“ genannt und „einen Mann, den ich sehr verehre und bewundere“.
Das Foto, das Lebers unerschrockenen Blick bei der Urteilsverkündung vor dem Volksgerichtshof Freislers zeigt, habe jahrelang in seinem Bonner Büro gehangen, hatte der Altbundeskanzler zuvor in seiner Rede im ehemaligen Kino L'Aiglon gesagt. Viele seiner Besucher hätten ihn gefragt, wer dieser Mann sei, weil sie die „menschliche Größe“ Lebers empfunden hätten. Schmidt hob auch hervor, daß der gebürtige Elsässer Leber bereits „sehr früh“ die „vitale Notwendigkeit“ der deutsch- französischen Verständigung erkannt habe.
Ganz Elder statesman mahnte er zu politischer Führung an. Manchem gehe die politische Karriere vor politischer Wahrheit und Geltungsbedürfnis vor Tat, sagte er. Diesen Politikern bleibe dann nur die Beteiligung an kleinen Machtspielen und Diskussionsrunden in Talk-Shows.
Er forderte Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß bei den Politikern ein, wie dies die Maximen von Julius Leber gewesen seien. Die von Schmidt geforderte Leidenschaft ließ Volker Rühe deutlich vermissen, er las seine Rede so unübertroffen hölzern vom Blatt ab, daß es eine Qual war.
Auf dem weitläufigen und baumbestandenen Gelände der Julius-Leber-Kaserne, die am Rande des Flughafens Tegel liegt, ist seit dem 1. Dezember 1994 der oberste militärische Repräsentant der Bundeswehr in Berlin stationiert. In den locker über das Gelände verstreuten Kasernen werden das Wachbataillon, das Stabsmusikcorps der Bundeswehr und weitere Truppenteile ihr Quartier beziehen. Noch sind es erst 150 Soldaten, die hier Dienst tun. Bis zum Jahr 2000 werden es 3.500 sein. Dazu kommen nochmals 1.500 Zivilbedienstete. Ob gegen Ende des Jahres bereits die geplante Stärke von 1.750 Mann erreicht ist, hänge „von den Finanzen ab, die ein Jonglieren erforderlich machen“, erläutert Pressestabsoffizier Dietmar Jeserich.
Das hier stationierte Wachbataillon wird vor allem die „protokollarischen Ehrendienste“ für das Verteidigungsministerium übernehmen. Vorgesehen sind auch internationale Begegnungen mit Nato-Partnern und polnischem Militär, so Jeserich. Die Planung von gemeinsamen Übungen und Ausbildungsgängen sollen hier ebenso stattfinden wie militärpolitische Besprechungen.
Daß Bundeswehrsoldaten auch ganz verborgene Qualitäten haben, zeigte sich beim anschließenden Empfang. Wer hätte denn geahnt, daß Achtzehnjährige in Uniform so gekonnt mit Tabletts und Schnittchen hantieren können.
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