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Ist Algerien verloren?

■ In Algier mit der Kamera herumzulaufen ist eine lebensgefährliche Angelegenheit. Gespräch mit dem algerischen Filmemacher Merzak Allouache über seinen Film "Bab-El-Oued-City"

Mit seinem ersten Film „Omar Gatlatou“ (1975) hatte der algerische Filmemacher Merzak Allouache bereits den Ärger der Behörden herausgefordert, die befanden, sein Porträt des Alltagslebens der algerischen Jugend in einem bestimmten Viertel der Hauptstadt, in Bab-El-Oued, sei eine karikaturhafte Überzeichnung. In eben diesem Viertel mobilisierte einige Jahre später einer der Führer der radikal-islamischen Partei FIS, ein gewisser Ali Benhadj die Jugendlichen, die um die „El Sunna“ Moschee herum wohnten. Er wollte sie für die Gia, die islamische Armee rekrutieren, die das algerische Regime mit bewaffnetem Kampf in die Knie zwingen will. Ali Benhadj sitzt zur Zeit im Gefängnis. 1994 kehrte Merzak Allouache in das Viertel zurück, um dort seinen Film „Bab El Oued City“ zu drehen, der seit einigen Wochen sehr erfolgreich in Pariser Kinos läuft. In zugegebenermaßen recht burleskem Realismus wird die Geschichte des jungen Bäckers Boualem erzählt, der nicht schlafen kann, weil auf seinem Dach der Lautsprecher montiert ist, der die Stimme des allzeit betenden Imam in das Viertel hinausposaunt. Er wirft das Ding auf die Straße, die Islamisten verfolgen ihn, er muß fliehen.

taz: Wieder zirkuliert ihr Film um die algerische Jugend; was interessiert Sie so an den Teenagern aus Bab-El-Oued?

Allouache: Jugend ist natürlich ein „universelles“ Thema; aber für Algerien ist es sogar zentral, weil 75 Prozent der Bevölkerung, das sind über 25 Millionen Menschen, unter 25 Jahre alt sind. Und in der katastrophalen Situation, in der dieses Land steckt, ist es vor allem die Jugend, die am aktivsten und am meisten betroffen ist. In „Omar Gatlatou“ habe ich das Alltagsleben, die Isolation des Protagonisten, die Drogen und die Arbeitslosigkeit in den Vordergrund gestellt – und die Liebe in einem Viertel von Algier. Aber das hätte jedes Viertel der Welt sein können. Mit „Bab-El-Oued-City“ geht es um diese konkrete Gegend und den Aufstieg des Fundamentalismus in einem Mikrokosmos, in dem man so ein Wechselspiel zwischen Frustration und Intoleranz beobachten kann.

Die Aussichten, so scheint es in „Bab-El-Oued-City“, sind ziemlich trübe. Ist Algerien verloren?

Es ist doch offensichtlich so, daß sich vor allem für die Jugendlichen die Lage immer mehr verschlechtert, ein Ende des Blutvergießens ist nicht abzusehen. In „Omar Gatlatou“ gibt es noch Funken von Hoffnung, jetzt wollte ich eben zeigen, wie diese Jungs zusehen müssen, daß sich das Universum, das ihnen erlaubt ist, immer mehr schrumpft: die Mädchen erwartet ein Leben hinter Mauern, die Jungen Arbeitslosigkeit, Drogen und Beten. Das sind eben die Konsequenzen einer katastrophalen Mißwirtschaft und des völligen Fehlens einer in Richtung dieser Jugendlichen formulierten, kohärenten Politik.

Wie haben Sie das eigentlich gemacht, mitten in der Höhle des Löwen, in einer Hochburg der FIS einen solchen Film zu drehen?

Wir mußten den Film zum großen Teil versteckt drehen und alles mußte sehr schnell gehen. Oft, zum Beispiel auf dem Schwarzmarkt, unter der Gefahr, daß wir beobachtet würden. Mit einer Kamera herumzulaufen ist in Algerien ein ungeheures Risiko, das schnell zu einer Tragödie werden kann. Meine Crew hat da ungeheure Nerven bewiesen.

Haben andere Filmemacher versucht, Ihnen zu folgen?

Ich glaube nicht. Wenn eine Gesellschaft am zusammenbrechen ist, gibt es wenige Leute, zum Beispiel auch auf der administrativen Ebene, die überhaupt ein Interesse an Film haben. Und wie gesagt: Es gibt bei uns eine Tradition, Filme auf der Straße zu drehen. Das ist heute ein derartiges Risiko, daß viele es eben gar nicht erst versuchen.

Wird man „Bab-El-Oued- City“ in Deutschland sehen können?

Nachdem er bereits großen Beifall auf dem Festival in Tübingen gefunden hatte, bekam ich einen Brief von Ulrich Gregor, dem Leiter des Forums des Jungen Films auf der Berlinale, der mir zusicherte, es werde eine Solidaritätsreihe mit dem algerischen Kino geben. Zumindest die Berliner werden ihn also im Frühjahr dieses Jahres zu sehen bekommen.

Was haben Sie jetzt vor?

Ich will versuchen, in Frankreich zu arbeiten, einen Film über Intellektuelle, Künstler, Journalisten zu machen, die sich in Algerien bedroht fühlen. Das Script beschreibt die Begegnung zweier Cousins, einer wohnt in Frankreich, einer in Algerien.

Das Gespräch führte A. B. Lahouri. Aus dem Französischen von Mariam Niroumand

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